Der Brief meines Vaters vom 7. April 1933
Birthe Kroll hat in der Mendelssohn -Remise über ihren Vater, Rechtsanwalt Siegfried Kroll, gesprochen:
Sehr geehrter Herr Dr. Marcus Mollnau, liebe Simone, meine Damen und Herren,
ich danke recht herzlich für die Einladung der Rechtsanwaltskammer Berlin.
Es ist mir eine große Freude und Ehre, heute Abend die dritte Auflage des Buches „Anwalt ohne Recht“ mit Ihnen feiern zu dürfen.
Mein Vater ist der Grund für meine heutige Anwesenheit, und ich möchte daher auch kurz von ihm erzählen.
Nach der Flucht 1933 hat er über 20 Jahre in Dänemark gelebt und dort hat er sich – wie er das selbst ausdrückte – anfangs kümmerlich durchgeschlagen, weil er nicht arbeiten durfte und nur durch Hilfe guter Freunde überlebt hat. Durch Heirat mit meiner Mutter, die er in Kopenhagen getroffen hatte, hat sich die Lage etwas verbessert, aber dann kam noch eine Flucht nach Schweden.
Mein Vater sprach jetzt fließend Dänisch, beruflich hatte er es aber immer noch sehr schwer.
1954 kehrte er nach Berlin zurück und war beruflich erneut als Anwalt tätig, vorwiegend in Wiedergutmachungsangelegenheiten. Er hatte anfangs sein Büro, Schlafzimmer und Wohnzimmer in einem Raum in Lichterfelde und fuhr in einem gebrauchten Topolino, wo das Dach während der Fahrt klapperte.
Seine berufliche Lage hat sich aber zum Positiven geändert und seine menschliche und berufliche Würde konnte wiederhergestellt werden. Das hat mich seinetwegen sehr gefreut.
Außer in der Jüdischen Gemeinde war er auch aktiv in der Arbeitsgemeinschaft der Juden und Christen, in der internationalen Liga für Menschenrechte und in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Als ich dabei war mich für den heutigen Abend vorzubereiten, fand ich einen Brief, den ich heute vorlesen möchte, weil es nicht viele andere Worte gibt, finde ich, die den Hintergrund für die Entstehung des Buches „Anwalt ohne Recht“ besser treffen als dieser Brief[1]:
Berlin Würzburger Strasse 6
Berlin, den 7. April 1933
Herrn Kammergerichtspräsident
Betrifft: Gesuch um Wiederzulassung zur Anwaltschaft.
Hierdurch bitte ich um meine Wiederzulassung zur Anwaltschaft.
Ich anerkenne vorbehaltlos und ohne jede Einschränkung, dass die auf Grund der bekannten Vereinbarungen beschaffene jetzt bestehende Lage für mich in vollem Umfange und in jeder Beziehung rechtsverbindlich ist.
Ich habe niemals den republikanischen Parteien angehört. Ich habe mich auch ferner niemals in irgendeiner Weise gegen die nationalen Parteien einschließlich der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei betätigt. Weltanschaulich und gesinnungsmäßig fühle ich mich den Regierungsgewalten der nationalen Erhebung auf engste verbunden.
Diese allgemein politische Einstellung kann ich leider durch kein anderes Beweismittel glaubhaft machen, als durch meine dienstliche Versicherung, die ich hiermit abgeben möchte.
Im Sommer 1918 hatte ich die Absicht, mich als Kriegsfreiwilliger zu melden, wurde jedoch wegen Jugendlichkeit – ich war damals noch nicht 16 Jahre alt – zurückgewiesen. Die Behörde, bei der ich mich gemeldet hatte, kann ich heute nicht mehr nennen, da ich weder eine Bescheinigung über meine Meldung noch sonstige Aufzeichnungen über diesen Vorgang besitze.
Mein Vater ist 75 Jahre alt und seit 5 Jahren als Kultusbeamter pensioniert. Die geringfügigen Pensionsbezüge, die Ihm monatlich zufließen, reichen kaum dazu aus, um ihn selbst zu ernähren. Er muss daher in umfassenden Maße die Unterstützung zweier Geschwister in Anspruch nehmen.
Meine Geschwister, acht an der Zahl, sind jedoch infolge eigener wirtschaftlicher Bedrängnis nicht in der Lage, mich zu unterstützen. Vielmehr sind mit der Unterstützung, die mir meine Brüder für die gesamte Zeit der Berufsvorbildung haben angedeihen lassen, sämtliche irgendwie verfügbaren Mittel erschöpft. Ich sehe wirtschaftlich keine Existenz mehr für mich, falls meine Wiederzulassung zur Anwaltschaft abgelehnt werden sollte, da bekanntlich alle anderen Berufszweige durch ungeheure Überfüllung versperrt sind und ich keinerlei Beziehungen zur Geschäftswelt habe.
Im Übrigen nehme ich auf mein an den Vorstand der Anwaltskammer gerichtetes Gesuch um Bewilligung einer Ausweiskarte vom 3.4.33 Bezug. Auf Erfordern bin ich bereit, die vorstehend gemachten tatsächlichen Angaben nach Möglichkeit durch Beweisantritt glaubhaft zu machen.
Zum Schluss möchte ich bemerken, dass mich die Unmöglichkeit, den Anwaltsberuf weiter auszuüben, auch deshalb wirtschaftlich entwurzeln würde, weil ich die von vornherein allein ausgeübte Praxis erst im Oktober 1931 gegründet und im langsamen Aufbau meiner Existenz begriffen bin.
Ich habe für ein paar Minuten meinem Vater die Stimme geliehen. Ich weiß wie sehr er sich gefreut hätte wäre er heute Abend dabei um auch Dich kennenzulernen, liebe Simone.
Ich danke Dir recht herzlich für unsere gute Freundschaft und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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[1] Das Schreiben von Siegfried Kroll stellt keine willfährige Anpassung dar. Um seinem Gesuch auch nur eine kleine Erfolgsaussicht zu verschaffen, musste er eine Loyalitätserklärung zur neuen Regierung abgeben.