Dr. Friedrich Wolff wird 100 Jahre alt – 57 Jahre davon als Rechtsanwalt
„Ich bin zufrieden mit meinem Leben und setze weiter auf den Sozialismus“. Mit dieser Äußerung beschließt der frühere Rechtsanwalt Dr. Friedrich Wolff seine Erinnerungen von 2013 unter dem Titel „Ein Leben – Vier Mal Deutschland“ – Weimar, die NS-Zeit, die DDR und die Bundesrepublik. Dr. Wolff, am 30. Juli 1922 geboren, feiert nun seinen 100. Geburtstag in Stolzenhagen bei Wandlitz, wo er zusammen mit seiner Frau Iris Wolff wohnt. Gesundheitlich gehe es ihm gut, so Wolff, allerdings kann er Texte kaum noch lesen: „Dass ich in der Zeitung mit Mühen nur noch die Überschriften, nicht aber die Zeitungsartikel mehr lesen kann, das isoliert mich.“
In Wolffs Leben spiegelt sich die deutsche Geschichte: Ursprünglich wollte er Medizin studieren, doch dies blieb ihm als Sohn eines jüdischen Arztes und damit als „Mischling“ im Nationalsozialismus verwehrt. Nach 1945 versuchte Wolff es mit dem Medizinstudium erneut, wechselte dann aber und studierte von 1946 bis 1949 an der Humboldt-Universität Rechtswissenschaften. „Alle meine Bekannten waren der Meinung, ich müsste Jurist werden, weil ich juristisch argumentiere,“ so Dr. Wolff: „Wenn ein Klassenkamerad eine Zensur bekam, die ich als nicht gerecht empfand, dann trat ich auf und habe meine Rede gehalten.“
Schon während der Vorbereitung auf das Studium hatte er sich einer kommunistischen Studentengruppe angeschlossen und wurde wenig später zum Vorsitzenden der SED-Parteiorganisation der Studenten gewählt. Diese politische Arbeiten „beschäftigten mich in den ersten drei Semestern mehr als das Studium[1]“. Dann aber konzentrierte er sich auf das Jurastudium und bestand am 1. Juni 1949 das 1. Juristische Staatsexamen mit der Note „gut“, am 18. September 1952 legte er das 2. Juristische Staatsexamen ab, obwohl dieses in der DDR nicht mehr erforderlich gewesen wäre.[2]
In seiner politischen Arbeit kritisierte er Entwicklungen innerhalb der SED, die etwa den offenen Meinungsaustausch einschränkten. Ab 1953 durfte Wolff nicht mehr im Staatsdienst arbeiten, weil „ich immer wieder als Opponent galt, vor allem aber weil meine Mutter im Westen lebte und auch noch Hauseigentümerin war. Da bestand immer der Verdacht, dass man nicht richtig lag.“ Diese Einschränkung verschaffte ihm aber den Zugang zum dann „geliebten Anwaltsberuf“[3]. Von Juni 1953 bis 2010 war er anwaltlich tätig.
Zwei seiner drei Töchter wurden auch Rechtsanwältinnen und Notarinnen: Renate Peinze und Barbara Erdmann. Mit Erdmann arbeitete Dr. Wolff seit der Wiedervereinigung in der Sozietät „Dr. Wolff und Partner“ zusammen. Barbara Erdmann war von 1997 bis 2017 Vorstands- und Präsidiumsmitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin.
Dr. Friedrich Wolff war im Familienrecht tätig, bekannt wurde er als Strafverteidiger – vor und nach der Wende in prominenten Fällen. In der DDR war er Strafverteidiger in den Prozessen gegen Beteiligte des Aufstandes vom 17.Juni, in der Bundesrepublik gegen Hans Modrow und Erich Honecker. In dem 2009 erschienenen Buch „Verlorene Prozesse“ hat er seine Verteidigungen in politischen Verfahren geschildert[4].
Wolff war einer der Mitbegründer des Berliner Kollegiums der Rechtsanwälte und von 1954 bis 1970 Vorsitzender, in den Jahren 1984 bis 1988 und 1990 erneut. Wichtig war das Verhältnis des Kollegiums zur SED: „Letztlich war die SED unsere Vorgesetzte und sie stand häufig gegen uns,“ so Dr. Wolff.
1981 wurde Friedrich Wolff an der Humboldt-Universität mit einer Dissertation zur Stellung des Rechtsanwalts promoviert. Besonders bekannt wurde er, als er in den 1980er Jahren durch die Sendereihe Alles was Recht ist im Fernsehen der DDR moderierte. Mit der Wiedervereinigung kam die große Sorge um die Zukunft der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus der DDR.
Die Erinnerungen zeigen, welche große Bedeutung die Politik im Leben von Dr. Wolff spielte. Er hatte sich oft für Reformen innerhalb der DDR eingesetzt, aber er war entschieden dagegen, dass und wie die DDR mit der Wiedervereinigung aufgegeben wurde. In seinem Tagebuch notierte er über den Abend des 2. Oktober 1990: „Gemeinsame Trauerfeier“[5].
Im Gespräch mit dem Kammerton wiederholt er die Aussage, die er im 2021 veröffentlichten Gespräch mit Egon Krenz[6] vertreten hatte: Gegenüber der Bundesrepublik sei die DDR der eigentliche Rechtsstaat gewesen. Zur Begründung führt er an, dass in der DDR die Gleichberechtigung der Frauen, also mehr als die Hälfte der Bevölkerung, die Gleichstellung der unehelichen Kinder, das Selbstbestimmungsrecht der Frauen für oder gegen eine Schwangerschaft sowie die Rechte der Homosexuellen viel weitreichender und früher als in der Bundesrepublik gesichert gewesen seien. In der Verfassung der DDR sei das Recht auf Arbeit und Wohnung verankert gewesen, Obdachlosigkeit habe es nicht gegeben.
Auf den Einwand der fehlenden Meinungsfreiheit und der Überwachung der politischen Gegner in der DDR erwidert Wolff: „Die DDR wurde ja vom Westen boykottiert und stand immer vor der Frage der Existenz oder Nichtexistenz: Da reagiert so ein Staat empfindlich.“.
Wie wird Dr. Friedrich Wolff am 30. Juli 2022 seinen 100.Geburtstag feiern? „Wir feiern in einem Restaurant hier in der Nähe, aber sehr lange werde ich nicht bleiben können, da ich zu schnell müde werde.“
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[1] Friedrich Wolff in: Ein Leben – Vier Mal in Deutschland, Köln, 2013, S. 80
[2] A.a.O., S. 107
[3] A.a.O., S. 247
[4] Friedrich Wolff: Verlorene Prozesse. Meine Verteidigungen in politischen Verfahren, Berlin 2009
[5] Friedrich Wolff in: Ein Leben – Vier Mal in Deutschland, Köln, 2013, S. 206
[6] Friedrich Wolff/Egon Krenz. Komm mir nicht mit Rechtsstaat; Gespräch zwischen einem fast hundertjährigen Juristen und einem langjährigen DDR-Politiker, Berlin 2021, S. 77
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Foto: Erdmann