Vorstellung der 3. Auflage von „Anwalt ohne Recht“ – mit bewegenden Worten
Die Vorstellung der neu erschienenen 3. Auflage von „Anwalt ohne Recht“ am 14. Juni 2022 war ein berührender Abend. Bewegend für das Publikum, aber insbesondere für Birthe Kroll, die zusammen mit ihrem Mann von ihrem Wohnort Kopenhagen aus angereist war, um an ihren Vater Rechtsanwalt Siegfried Kroll zu erinnern.
Siegfried Kroll musste im Mai 1933 von Berlin nach Kopenhagen fliehen. Dort heiratete er und wurde Vater von zwei Töchtern. Aber in Kopenhagen endete seine Flucht nicht. Im biografischen Verzeichnis von „Anwalt ohne Recht“ heißt es über ihn: „Als im Oktober 1943 die Deportation aller Juden aus Dänemark bevorstand, floh er mit einem kleinen Fischerboot über den Öresund nach Schweden. Seine Schwiegereltern wurden ins Ghetto Theresienstadt verschleppt.[…] Im März 1954 kehrte er nach Berlin zurück und beantragte die Wiederzulassung zur Anwaltschaft, die ihm im April 1954 erteilt wurde.[…] Zwei seiner Schwestern wurden mit ihren Familien ermordet.“
Birthe Kroll erfuhr von vielen Details erst, als sie 2009 bei einem Notartermin in Berlin die 2. Auflage von „Anwalt ohne Recht“ erhielt – vom damaligen Notar Bernd Eilbrecht. Nachdem Eilbrecht bei dem Termin von Frau Krolls Familiengeschichte erfahren hatte, holte er die 2. Auflage aus seinem Regal und schenkte es ihr. Frau Kroll war erstaunt und gerührt den Namen ihres Vaters ohne weitere Angaben im Buch zu finden. Sie setzte sich dann mit dem bebra-Verlag in Verbindung. Dadurch enstand der Kontakt zu Dr. Simone Ladwig-Winters, die anschließend viele Unterlagen zu Siegfried Kroll in verschieden Archiven fand. Darunter ein Brief an den Kammergerichtspräsidenten vom 7. April 1933, aus dem Birthe Kroll vorlas. Ihre Ansprache finden Sie ab S. 14.
Zu Beginn der Veranstaltung hatte Cornelie von Bismarck als stellvertretende Vorstandsvorsitzende die Mendelssohn-Gesellschaft und den Veranstaltungsort der Buchpräsentation, die Mendelssohn-Remise, vorgestellt.
Der Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin, Dr. Marcus Mollnau, zeigte in seiner Ansprache im Anschluss seine Freude darüber, dass die 3. Auflage in seiner Amtszeit erscheine. Er wies darauf hin, die Aktualisierungen des Buches hätten dazu geführt, dass die 3. Auflage um 200 Seiten gegenüber der Vorauflage gewachsen sei. Er dankte der Autorin und dem Verlag für ihren großen und fachkundigen Einsatz und zeichnete die Entstehungsgeschichte des Buches seit der 1. Auflage nach. Dr. Mollnau betonte: „Das Buch ‚Anwalt ohne Recht‘ ist weder eine Wiedergutmachung noch der Versuch einer Exkulpation – es war und ist das Eingestehen eigener Unzulänglichkeiten und eigener Mitverantwortung.“ Die Ansprache des Kammerpräsidenten lesen Sie ab S.8.
Die Autorin des Buches, Frau Dr. Simone Ladwig-Winters, beschrieb in ihrer Rede die Schwierigkeiten, unter denen sie für die 1. Auflage von „Anwalt ohne Recht“ (1998) das erste namentliche Verzeichnis der nach 1933 diskriminierten Rechtsanwältinnen und Rechtanwälte aus Berlin zusammengestellt hatte. Für die 3. Auflage habe sie zahlreiche neu zugängliche Quellen auswerten können. Dr. Ladwig-Winters schilderte die einzelnen Etappen der Verfolgung der Anwaltschaft, von den Berufsverboten bis zu den Deportationen. Die Autorin trug auch diese Statistik vor: 345 Anwälte und Anwältinnen seien in Berlin ermordet worden, 39 hätten sich angesichts der Bedrohung für den Suizid entschieden, 128 Personen überlebten die Lager oder waren untergetaucht oder hätten als Mischlinge bzw. in einer Mischehe überlebt, 971 hätten Deutschland verlassen, 74 von ihnen seien wieder zurückgekehrt.
Einer der 74 war Rechtsanwalt Siegfried Kroll.
Zwischen den Redebeiträgen spielte der israelische Klarinettist Nur Ben Shalom wunderbare und nachdenkliche Musikstücke.
Unter den etwa 70 Gästen waren die Präsidentin der Verfassungsgerichtshofs Berlin, Ludgera Selting, OVG-Präsident Joachim Buchheister, Landgerichtspräsident Dr. Holger Matthiessen sowie RAin Dr. Margarete von Galen, Präsidentin der RAK Berlin von 2004 bis 2009, und Dr. Bernhard Dombek, Präsident der RAK Berlin von 1989 bis 1999 und anschließend Präsident der BRAK. Einige Journalistinnen und Journalisten waren ebenfalls zur Buchvorstellung gekommen.
Viel Interesse an dem Buch zeigten die Referendarinnen und Referendare bei der Veranstaltung, die die Rechtsanwaltskammer Berlin über das Kammergericht eingeladen hatte.
Fotos: Rudolph und Schick