Mit einem Hilferuf hat sich RA S. Patrick Rümmler am 18. September 2022 per E-Mail an die Rechtsanwaltskammer Berlin gewandt: „In allen Bereichen des Lebens steigen die Kosten. Jeder Dienstleister einer Kanzlei erhöht seine Stundensätze. Die Kosten für die Anwaltssoftware werden erhöht. Das beA ist verpflichtend, muss aber bezahlt werden. Die Löhne müssen erhöht werden und die Kammer ruft dazu auf, die Auszubildenden besser zu vergüten. Bei den Ärzten mit kassenärtzlicher Abrechnung gibt es eine Inflationsausgleichsformel – bei den Anwälten aber nicht!“
Die Anwaltsverbände teilen diesen Vorschlag des Kollegen für einen regelmäßigen Inflationsausgleich seit langem und haben sich vielfach dafür eingesetzt, bislang aber ohne Erfolg. Nachdem die Kosten seit Jahresbeginn 2022 jetzt sehr stark gestiegen sind und das jüngste Maßnahmenpaket des Bundes keine Unterstützung für die Anwaltschaft vorsah, hat das Präsidium der Bundesrechtsanwaltskammer mit einem Schreiben vom 20. September 2022 an Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann eine schnelle Erhöhung der RVG-Gebühren verlangt hat. Die BRAK-Hauptversammlung in Stuttgart hatte Anfang September darum gebeten.
Der Kammerpräsident von Berlin, Dr. Marcus Mollnau, hält die Gebührenerhöhung für dringend geboten: „Viele Kanzleien könnten sonst in große Schwierigkeiten geraten. Denn es gibt zurzeit verschiedene Kostensteigerungen – nicht nur die aufgrund der Inflation.“ Kostensteigerungen treffen die Berliner Anwaltschaft vor allem durch die höheren Energiepreise, bei der Miete (z.B. bei der Kopplung der Gewerbemiete an einen Lebenshaltungsindex oder durch steigende Betriebskosten), durch steigende IT-Kosten und bei den Personalkosten. Nur die steigenden Kraftstoffpreise trifft die Anwaltschaft in einer Großstadt weniger als die Kollegenschaft in ländlichen Gebieten.
Eine Berliner Fachanwältin für Sozialrecht spürt in ihrer Kanzlei die Kostensteigerungen bisher kaum, schränkt aber ein: „Ich befürchte die Betriebskostenabrechnung für 2022 sehr!“. Ein anderes Kammermitglied berichtet, dass in ihrer Kanzlei eine deutliche Gehaltserhöhung besonders bei den Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten notwendig gewesen sei, damit diese in den Zeiten der Personalknappheit nicht zur öffentlichen Hand wechselten. RA Rümmler hat dies bei auch bei anderen Mitarbeitern erfahren: „Alle Angestellten verlangen mehr Gehalt, um ihre eigenen Kostensteigerungen auffangen zu können. Und selbst die Erhöhung des Mindestlohnes macht sich bei der Vergütung der studentischen Hilfskräfte bemerkbar.“ RA Rümmler ist Fachanwalt für Verkehrsrecht und empfindet es als bitter, dass die KfZ-Sachverständigen aufgrund der regelmäßig angehobenen Honorartabelle nach seiner Schätzung inzwischen 40% mehr als die Anwaltschaft berechnen könnten.
Eine Fachanwältin für Arbeitsrecht weist darauf hin, dass es auch für die Kollegenschaft, die aufgrund von Gebührenvereinbarungen abrechnen könne, schwierig sei, die Kostensteigerungen einzufangen: „Die Mandantschaft ist sparsamer geworden und akzeptiert zur Zeit keine höheren Stundensätze.“ Dass aber auch ein geringerer Umsatz in diesem Jahr zum Problem werden kann, beschreibt Rechtsanwalt und Notar Dr. Olaf Kreißl von FPS: „In immobilienrechtlichen Notariaten sind sinkende Einnahmen zu erwarten, wenn wie 2022 die Zinsen und die Baukosten weiter steigen und im Notariat weniger Aufträge eingehen.“
Die Berliner Anwaltschaft ist 2022 von erheblichen Kostensteigerungen und Einnahmeausfällen betroffen, ohne dass einem großen Teil von ihnen mit einer regelmäßigen Erhöhung der RVG-Gebühren geholfen wird.
Das BRAK-Präsidium kommt in seinem Schreiben an den Bundesminister der Justiz daher zurück auf den früheren Vorschlag von BRAK und DAV, die RVG-Gebühren regelmäßig durch eine Indexierung anzupassen, in etwa vergleichbar mit der Koppelung der Diäten der Bundestagsabgeordneten an die Entwicklung des Nominallohnindexes. Dies gelte nun angesichts von Inflation und Energiekrise mehr denn je, betonte BRAK-Präsident Dr. Ulrich Wessels laut BRAK-Newsletter (Nachrichten aus Berlin) Nr. 19/2022 vom 21.09.2022.
Der Vorstand der RAK Berlin spricht sich seit Jahren ebenfalls für eine gesetzliche Verankerung einer regelmäßig wiederkehrenden Erhöhung der RVG-Gebühren aus, so in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021. Auch Prof. Dr. Matthias Kilian vom Soldan Institut hatte in seiner Stellungnahme zum Entwurf des KostRÄndG 2021 gleich zu Beginn ausführlich dargelegt, warum eine Dynamisierung der Vergütung durch Ankopplung an einen Index so wichtig wäre. Mit dem Kostenrechtsänderungsgesetz hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2021 die anwaltliche Vergütung für die meisten Sachen um 10% angehoben.
Kammerpräsident Dr. Mollnau macht deutlich. „Diese Gebührenänderungen waren nur die teilweise Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung der sieben Jahre vor 2021! Ich hoffe daher sehr, dass die aktuelle berechtigte Forderung der Anwaltschaft nicht unter Hinweis auf das Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 abgewiesen wird.“
Dr. Mollnau hält eine regelmäßige Erhöhung der RVG-Gebühren nur dann für möglich, wenn die Bundesländer bei den künftigen Verhandlungen über RVG-Erhöhungen von ihrem bisherigen Junktim mit der Erhöhung der Gerichtskosten absehen: „Die Anwaltschaft muss kostendeckend durch die Gebühren arbeiten, während die Gerichtskosten die Justizkosten nur teilweise decken müssen. Der Staat muss für die Justizgewährung eigene Mittel zur Verfügung und kann diese in Krisenzeiten so aufstocken, wie er es zurzeit in anderen Bereichen auch vorsieht.“