Von Dr. Holger Matthiessen, Präsident des Landgerichts Berlin
Seit dem Jahr 1990 wird darüber diskutiert, jetzt soll sie vollendet werden, die Strukturreform des übergroßen und auf drei Gerichtsgebäude in der Stadt aufgeteilten Berliner Landgerichts. Zur Umsetzung der Vorgabe der Koalitionsvereinbarung des rot-grün-roten Berliner Senats hat die Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung hierzu im Oktober 2022 den Entwurf eines „Gesetzes über die Neuordnung der Berliner Landgerichtsstruktur“ vorgelegt.
Der Entwurf sieht vor, dass mit Wirkung zum 1. Januar 2024 in Berlin mit Sitz im Bezirk des Amtsgerichts Mitte ein zweites Landgericht, das Landgericht Berlin II, errichtet werden soll; das bisherige Landgericht Berlin soll als Landgericht Berlin I mit Sitz im Bezirk des Amtsgerichts Tiergarten fortgeführt werden. Unabhängig vom Sitz der Gerichte sollen alle Strafsachen für das gesamte Stadtgebiet dem Landgericht Berlin I und alle Zivilsachen dem Landgericht Berlin II zugewiesen werden. Anders als etwa bei den beiden Münchner Landgerichten I und II wird also keine regionale Zuständigkeitsverteilung vorgenommen, sondern eine inhaltliche. Geschaffen werden zwei Spartengerichte, eines für Zivilsachen und eines für Strafsachen, für die es in Deutschland noch kein Vorbild gibt. Ermöglicht wird diese Regelung durch den vom Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2021 geschaffenen § 60 Abs. 2 GVG.
In Deutschland würde Berlin Vorreiter eines solchen Modells werden, das aber in Österreich in den großen Städten Wien und Graz schon seit 1921 sehr erfolgreich praktiziert wird. Die im Entwurf vorgesehene Schaffung von zwei Landgerichten hat gegenüber anderen zuvor diskutierten Alternativen den Vorteil, dass in den laufenden Rechtsprechungsbetrieb nicht eingegriffen werden muss, da eine Teilung nach dem status quo vorgenommen wird. Das richterliche und das nicht-richterliche Personal und alle vorhandenen Akten können an ihrem bisherigen Standort verbleiben. Um die in den Gebäuden Littenstraße und Tegeler Weg eingesetzten Bediensteten statusmäßig ins neue Landgericht Berlin II zu überführen, bedarf es einer Versetzung, die allerdings für die Öffentlichkeit unsichtbar im Jahr 2023 im Verwaltungswege durchzuführen ist. Vorbehaltlich anderslautender Entscheidungen der künftigen beiden Gerichtspräsidien können die Kammerstrukturen im Zivil- und im Strafgericht konstant bleiben, sodass sich auch weder Aktenzeichen noch Bearbeiter verändern müssen. Die Aufteilung des Zivilgerichts auf die beiden Standorte in der Littenstraße und am Tegeler Weg würde ebenfalls unverändert bleiben.
Einer Neuordnung bedürfen lediglich die Gerichtsverwaltungen, die dann für beide Häuser zu vervollständigen sind. Dies betrifft vorrangig die Neubesetzung der Präsidentenpositionen und der Geschäftsleitung, aber auch die Einrichtung von zwei selbständigen IT-Stellen und Haushaltsabteilungen. Gerade für die in der Berliner ordentlichen Gerichtsbarkeit durchaus beschleunigungsfähige Digitalisierung kann man sich neue Anstöße erhoffen, wenn die im Zivil- und Strafbereich sehr unterschiedlich gearteten Vorhaben zur Einführung der elektronischen Akte künftig von einer hierauf jeweils spezialisierten landgerichtlichen IT-Einheit begleitet werden können.
Der Justizverwaltungsbereich der Notaraufsicht soll dem Landgericht Berlin II zugewiesen werden und dann im Gebäude in der Littenstraße in unmittelbarer Nachbarschaft zur Notarkammer verbleiben.
Was verändert sich durch die beabsichtigte Reform nun für die Berliner Anwaltschaft?
Nicht viel! Schriftsätze müssen künftig im Anschriftenfeld nach den Worten „Landgericht Berlin“ durch die römischen Ziffern I und II ergänzt werden. Im Entwurf ist vorgesehen, dass beide Gerichte zusätzliche Bezeichnungen „Landgericht für Strafsachen“ und „Landgericht für Zivilsachen“ führen dürfen, die allerdings für die Adressierung von Schriftsätzen nicht erforderlich sein werden. Die schon jetzt obligatorischen elektronischen Versandwege werden sich nicht ändern.
Allerdings wird die Reform mit der Erwartung verknüpft, dass sich die beiden künftigen Landgerichte effizienter und erfolgreicher verwalten werden und die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der beiden sehr verschiedenen Sparten der ordentlichen Gerichtsbarkeit deutlicher artikulieren und hierdurch mit mehr Nachdruck personelle und sachliche Ressourcen einwerben können. Der größte Mehrwert wird für die richterliche Personalentwicklung erwartet, da künftig viel gezielter geeignete Bewerberinnen und Bewerber für den Vorsitz einerseits in Straf- und andererseits in Zivilkammern gefunden werden können. Diese verbesserte Möglichkeit der Spezialisierung wird die Qualität der Rechtsprechung heben und dann hoffentlich auch für die Anwaltschaft sichtbar sein.
Ob das Gesetzesvorhaben zur Reform der Landgerichtsstruktur in Berlin durch die im Frühjahr zu erwartenden Neuwahlen des Abgeordnetenhauses eine inhaltliche oder zeitliche Änderung erfahren wird, bleibt jedoch abzuwarten.
Noch besteht also kein Anlass, Textvorlagen für Klage- oder Rechtsmittelschriften um römische Ziffern zu ergänzen.