Die eigene Verteidigung als Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht

Nach § 2 Abs. 4 b Berufsordnung liegt ein Verstoß gegen die Pflicht zur Verschwiegenheit gem. § 43a Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung nicht vor, „soweit das Verhalten des Rechtsanwalts … zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist, z.B. zur Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandatsverhältnis oder zur Verteidigung in eigener Sache.“

Die Preisgabe von Informationen aus dem Mandatsverhältnis zur Verteidigung in eigener Sache ist allerdings nur im notwendigen Umfang zulässig. Dies hat der Vorstand der RAK Berlin in einer am 2. Juli 2020 erteilten Rüge deutlich gemacht:

Ein Rechtssuchender hatte über die Website einer Berliner Kanzlei eine kostenlose Ersteinschätzung und anschließend das Beratungsangebot eines Rechtsanwalts zum Festpreis in Höhe von über 1.300,- € erhalten, ohne dass seine Anfrage nach einer Erstberatung gem. § 34 Abs.1 RVG beantwortet worden war. Anschließend kritisierte der Anfragende die Vorgehensweise des Anwalts in einer Internetbewertung und schrieb, dass bei ihm der Eindruck entstanden sei, dass kommerzielle Interessen höher gewichtet würden als Mandanteninteressen. Der Rechtsanwalt kommentierte im Gegenzug die Bewertung und richtete sich dabei an den Rechtssuchenden: “Bei Ihrer Anfrage ging es immerhin um Krankentagegeld im höheren fünfstelligen Bereich“.

Dieser Kommentar verstößt nach Auffassung des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer gegen die Verschwiegenheitspflicht aus § 43a Abs. 2 BRAO, da auch die zur Mandatsanbahnung übermittelten Informationen der anwaltlichen Verschwiegenheit unterliegen und eine Entbindung von der Verschwiegenheit nicht vorgelegen habe. Die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 4b Berufsordnung kommt nicht zum Tragen:

Diese Regelung gestattet die Preisgabe vertraulicher Informationen, wenn dies zur Wahrnehmung berechtigter (Eigen-)Interessen erforderlich ist, so dass der Rechtsanwalt eine unrichtige Tatsachenfeststellung des Rechtssuchenden hätte korrigieren dürfen, sofern kein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Korrekturinteresse des Anwalts und dem Geheimhaltungsinteresse des Rechtsuchenden bestanden hätte. Allerdings sei hier die Sachverhaltsschilderung des Rechtssuchenden zutreffend gewesen.

Der Kammervorstand hält in der Begründung der Rüge fest, dass sich das Kammermitglied in eigener Sache auch gegen beleidigende und diffamierende Äußerungen verteidigen darf. Allerdings ist im vorliegenden Fall fraglich, ob die klar als Bewertung eines (zutreffenden) Sachverhalts erkennbaren Äußerungen bereits als diffamierend einzustufen seien. Selbst wenn man dies aber bejahe, ist die Preisgabe von Informationen nur in dem Umfang erlaubt, wie dies zur Verteidigung auch notwendig und nicht unverhältnismäßig sei.

Das Kammermitglied hätte auf die Kritik an dem von ihm unterbreiteten Beratungsangebot durch einen abstrakten Hinweis auf die aus seiner Sicht bestehende Bedeutung und/oder Komplexität der Angelegenheit reagieren können, so dass ein Hinweis auf den konkreten Gegenstand des angetragenen Mandates nicht erforderlich gewesen sei. Dies gilt umso mehr, als es sich bei den von ihm preisgegebenen Informationen über das „Krankentagegeld“ um besonders sensible Daten handle. Diesem Hinweis habe sich ein eingeschränkter Gesundheitszustand von erheblicher Dauer entnehmen lassen.

Die Rüge ist rechtskräftig.

 

Kammerton 11-2020