„Die letzten Berliner Veit Simons“ – Buchvorstellung am 11. Dezember 2019, 19.00 Uhr

Von Kammerpräsident Dr. Marcus Mollnau

 

Am 28.11.2007 trat eine kleine weißhaarige Frau an das Rednerpult im Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße: Judith Klein aus Washington D.C.. Sie sprach anlässlich einer Feierstunde, in der die Präsidentin der RAK Berlin, Dr. Margarete Gräfin von Galen, die 2. Auflage des vielfach und auch international anerkannten Buches der RAK Berlin „Anwalt ohne Recht“ der Öffentlichkeit vorstellte. In bewegenden Worten erinnerte die damals 82jährige Judith Klein an ihren Vater Dr. Heinrich Veit Simon, einem der bedeutendsten Rechtsanwälte und Notare Berlins der 20er und 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Simon, geb. 1883 in Berlin, starb am 18. Mai 1942; zu Tode geprügelt in einem Polizeigefängnis in Berlin.

In ihrer Rede klang an, welche bewegende Geschichte ihre Familie verzeichnete. Eine deutsche Geschichte, die von juristischer Anerkennung, gesellschaftlichem Aufstieg und wirtschaftlichem Erfolg geprägt war und die in nur wenigen Jahren mit beruflichem Niedergang, Vertreibung, Exil und Ermordung ein jähes Ende fand. Eine Geschichte, in der der national­sozialistische Massenmord erst die Zukunftsaussichten, dann das gesellschaftliche Umfeld, die Lebensgrundlagen und schließlich die nackte Existenz zerstörte. Wer damals im Saal war, wird sich vielleicht erinnern, wie Klein von den langen Fluren, den unzähligen Türen, den überall klappernden Schreibmaschinen berichtete, die sie als Kind in der Kanzlei ihres Vaters am Pariser Platz erlebte.

Heute, 12 Jahre später, liegt eine neue bemerkenswerte Publikation vor. Die Autorinnen Anna Hájková und Maria von der Heydt legen mit dem Buch „Die letzten Berliner Veit Simons – Holocaust, Geschlecht und das Ende des deutsch-jüdischen Bürgertums“ (Hentrich & Hentrich Verlag Berlin/Leipzig, 1. Auflage 2019, 140 Seiten) eine Geschichte der Berliner Familie Veit Simon vor. Ein Buch, das „von der letzten Blüte und dem grausamen Ende einer einst wichtigen Berliner jüdischen Familie“ (S. 9) erzählt. Die Autorinnen beschreiben diese Familie als eine „der geachtetsten und ältesten Berlinen Juden, sie waren hochgebildet, bekleideten wichtige Ämter und trugen zur deutschen Kultur des 19. und angehenden 20. Jahrhunderts bei.“ (ebenda) Nach sehr aufwendigen Recherchen u.a. in staatlichen und Familienarchiven, gelingt es den Autorinnen, die Geschichte dieser Familie nachzuzeichnen; eine Geschichte, deren Beschreibung mit dem beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg des Vaters des eingangs erwähnten Heinrich Veit Simon, Hermann Veit Simon (ebenfalls Rechtsanwalt) beginnt und mit dem Schicksal der emigrierten und vertriebenen Familienmitglieder in der Nachkriegszeit endet. In der Einleitung fassen die Autorinnen den Inhalt ihres Buches zusammen:

„In diesem Buch berichten wir, wie genau sich die nationalsozialistische Verfolgung auf das Leben der Veit Simons auswirkte. 1933 lebte die Familie in Wohlstand, in schönen, von namhaften Architekten entworfenen Häusern. In den darauffolgenden zwölf Jahren wurden sechs von ihnen ermordet. Eine Tochter überlebte drei Jahre in Theresienstadt, fünf der Kinder wanderten aus und lebten als Emigranten in schwierigen Verhältnissen.“

Jede und Jeder, die an anwaltlicher und deutscher Zeitgeschichte interessiert sind, sollten zu diesem Buch greifen und auch die Buchvorstellung besuchen. Es ist eine aufwühlende, detaillierte und erschütternde Publikation, die deutlich macht, in welcher Geschwindigkeit, mit welcher Wucht und mit welcher maschinell-bürokratischen Akkuratesse der Holocaust in Familien, Schicksale und Biografien einfiel – brutal, rücksichtslos, vernichtend. Und es ist eine Publikation, die für weitere Forschungen Anlass bietet: Was wurde z.B. aus der glänzend eingeführten und höchst erfolgreichen Kanzlei von Veit Simon, nachdem sich „Ende 1935 seine nichtjüdischen Sozien“ (S. 30) von Heinrich Veit Simon trennten und wie verhielten sich die Sozien nach der Zerschlagung des Faschismus in Deutschland gegenüber den Erben von Veit Simon?

Zudem, noch einmal die Autorinnen (S. 10):

„Der Holocaust (führte) viele seiner Opfer über Staatsgrenzen und kulturelle Grenzen hinaus, Entgrenzungen verschlugen die Verfolgten in die neuen Gesellschaftsstrukturen, die Zwangsgemeinschaften der Konzentrationslager und Ghettos, Emigrantengemeinschaften, Verbindungen zwischen alliierten Regierungen, den Regierungen im Exil und deren Heimatländern sowie jüdische Hilfsorganisationen: Transnationale Geschichtsschreibung lässt Bekanntes im neuen Licht erscheinen und zeigt bisher Übersehenes auf, während zugleich erstmals neue, untereinander verbundene Situationen sichtbar werden.“

Ein Forschungs- und Publikationsansatz, der heute aktueller denn je ist.

Die Vorstellung des Buches durch die beiden Autorinnen erfolgt am 11. Dezember 2019, 19.00 Uhr in der W. M. Blumenthal Akademie, Klaus Mangold Auditorium, Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz 1, 10969 Berlin – direkt gegenüber dem Jüdischen Museum Berlin. Bitte beachten Sie die erforderlichen Sicherheitskontrollen vor Beginn der Veranstaltung.

Kammerton 11-2019