RA Marc Wesser, Vorstandsmitglied der RAK, antwortet
Marc Wesser gehört seit 2023 sowohl dem Kammervorstand als auch der Satzungsversammlung an. Bei beiden Kandidaturen war er mit dem Ziel angetreten, einen Beitrag zur Abschaffung der Singularzulassung zu leisten. Wesser war bereits von 2009 bis 2017 Vorstandsmitglied, ab 2015 Vizepräsident und Menschenrechtsbeauftragter. Seit 2002 ist er selbstständig als Rechtsanwalt in Berlin tätig.
Warum sind Sie Rechtsanwalt geworden?
In der 10. oder 11. Klasse habe ich erstmals ernsthaft über meinen Beruf nachgedacht und schwankte zwischen Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte und Rechtsanwalt. Ich befürchtete jedoch, dass ich nach einigen Jahren nicht mehr die gleiche Leidenschaft für neue Schüler aufbringen könnte. Deshalb habe ich mich für den Anwaltsberuf entschieden – und diese Wahl nie bereut.
Ihre Vorbilder in der Anwaltschaft?
Ich hatte nie wirkliche Vorbilder in der Anwaltschaft. Seit meinem 14. Lebensjahr habe ich mich für Politik interessiert und war auch parteipolitisch aktiv. In dieser Zeit lernte ich viele damalige und spätere Entscheidungsträger persönlich kennen und stellte fest, dass auch sie oft mit alltäglichen Problemen und menschlichen Schwächen zu kämpfen haben. Dadurch ging mir die Idee, mich an Vorbildern zu orientieren, verloren. Heute freue ich mich, wenn ich Menschen treffe, die ehrlich versuchen, die Welt nicht nur für sich, sondern auch für andere ein Stück besser zu machen.
Welche drei Eigenschaften sollte eine gute Rechtsanwältin oder ein guter Rechtsanwalt haben?
Eine gute Rechtsanwältin oder ein guter Rechtsanwalt sollte gut zuhören können, echtes Interesse an Jura haben und Menschen grundsätzlich mit Wertschätzung begegnen. Diese Kombination erleichtert, nach meiner Erfahrung, den Berufsalltag sehr, auch wenn mir das geduldige Zuhören manchmal durchaus schwerfällt.
Wem empfehlen Sie, den Anwaltsberuf zu ergreifen?
Ich glaube, dass der Beruf eine Berufung sein sollte. Man sollte Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt werden, wenn man – idealerweise nach Praktika und Einblicken im Referendariat – das Gefühl hat, in diesem Beruf wirklich glücklich zu werden.
Welche berufsrechtlichen Vorschriften für die Anwaltschaft halten Sie für notwendig oder aber für überflüssig?
Elementar finde ich das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten. Nur wenn ein Mandant sicher sein kann, dass sein Anwalt nicht die Seiten wechselt, entsteht eine dauerhafte Vertrauensbasis.
Ebenso wichtig ist aus meiner Sicht das Fremdbesitzverbot. Wenn eine Kanzlei einem Finanzinvestor oder einer Rechtsschutzversicherung gehört, besteht die starke Gefahr, dass bei der Mandatsbearbeitung die Interessen des Kanzleieigentümers im Vordergrund stehen und nicht die des Mandanten.
Worum geht es Ihnen bei Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit in nächster Zeit?
Vor knapp zwei Jahren habe ich erneut für den Vorstand der Rechtsanwaltskammer Berlin kandidiert, um meinen Beitrag zur Abschaffung der Singularzulassung zu leisten. Der Vorstand und die Kammerversammlung der Rechtsanwaltskammer Berlin haben sich dieses Themas wohlwollend angenommen. Am 20. September dieses Jahres ist es unserer Präsidentin Dr. Vera Hofmann gelungen, auf der Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer in Chemnitz mit einer ebenso klugen wie kämpferischen Rede eine Mehrheit für die Abschaffung der Singularzulassung zu gewinnen. Auch wenn die Abstimmung wegen eines Auszählfehlers wohl wiederholt werden muss, ist dies ein wichtiges und deutliches politisches Signal.
Was war Ihr Beweggrund für dieses Ehrenamt?
Ich war bereits acht Jahre lang bis 2017 Mitglied des Kammervorstands, habe dann jedoch wegen der Geburt meines dritten Kindes nicht erneut kandidiert. Die Arbeit im Vorstand hat mir immer Freude bereitet, da die Kolleginnen und Kollegen im Vorstand sachorientiert und juristisch vielseitig diskutieren. Lagerdenken gibt es dort praktisch nicht – häufig gewinnt das bessere Argument. Das scheint mir nicht in allen Bereichen unserer Gesellschaft so zu sein.
Wieviel Zeit benötigen Sie für diese Aufgabe?
Das kann ich nicht konkret beantworten, da es sehr wechselhaft und schwer abzugrenzen ist. Wenn ich mit jemandem über die Abschaffung der Singularzulassung oder andere berufsrechtliche Fragen diskutiere, ist das wohl keine Vorstandsarbeit im engeren Sinne. Es macht mir aber eben auch außerhalb des Vorstands enormen Spaß.
Wofür fehlt der Anwaltschaft die Zeit?
Ich glaube, dass großen Teilen der Anwaltschaft im Tagesgeschäft die Zeit fehlt, sich intensiver mit strategischen Fragen des Berufs auseinanderzusetzen. Gerade die Frage, welche Aspekte unserer Arbeit im Zeitalter von KI für Mandanten so wichtig bleiben, dass auch in Zukunft die Notwendigkeit eines Anwalts besteht, sollte von vielen grundsätzlicher überdacht werden. Darauf sollten wir uns schon jetzt viel stärker fokussieren.
Nutzen Sie soziale Netzwerke?
Nein, eigentlich überhaupt nicht. Lediglich im Nachgang zu der letzten BRAK-Hauptversammlung, auf der sich eine Mehrheit für die Abschaffung der Singularzulassung ausgesprochen hat, habe ich begonnen, verschiedene Beiträge zum Thema auf LinkedIn zu posten und zu kommentieren. Und ich war durchaus über die Reichweite und die Vielzahl der Reaktionen erstaunt.
Was macht Sie wütend?
Es macht mich wütend, wenn Missstände offenkundig sind und wir als Gesellschaft trotzdem häufig zu langsam sind, um diese Missstände abzustellen. Das ist meines Erachtens bei der Singularzulassung der Fall, wo nur ein kleiner Kreis von Rechtsanwälten vor den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs auftreten darf, die von einem Wahlausschuss, der mehrheitlich aus BGH-Richtern besteht, ausgewählt werden. Dass Richter eines obersten Gerichts selbst aussuchen, wer als Anwalt vor ihnen auftreten darf, passt nach meinem politischen Verständnis nicht in einen demokratischen Rechtsstaat.
Mein Eindruck ist auch, dass die Lernkurve unseres Staates aus der Corona-Pandemie nicht besonders nachhaltig war. Wenn es demnächst eine andere Pandemie gäbe, würden wir vermutlich genauso überrascht und hilflos sein wie beim letzten Mal.
Besonders ärgerlich finde ich auch, wenn Anwälte mit ihren Mandanten gleichgesetzt werden. Ein Anwalt, der beispielsweise einen Asylbewerber vertritt, der später in einen Terroranschlag verwickelt ist, wird oft unberechtigterweise an den Pranger gestellt. Dabei wird die essentielle Aufgabe des Anwalts übersehen, unabhängig von den Taten des Mandanten dessen rechtlichen Beistand zu gewährleisten. Diese Gleichsetzung widerspricht den Grundprinzipien unseres Rechtsstaats.
Welchem Thema würden Sie ein Buch widmen und mit welchem Titel versehen?
Ich kann mir nicht vorstellen, ein Buch zu schreiben.
Welche Veränderungen im Berufsalltag schätzen Sie besonders?
Ich finde alles spannend, was die Digitalisierung und nun auch langsam die KI an Veränderungen und Arbeitserleichterung in unsere Kanzleien bringt.
Mit wem würden Sie gerne einen Tag die Rolle tauschen?
Ich bin mit meinem Leben eigentlich ganz zufrieden. Ich möchte mit niemandem tauschen, auch nicht für einen Tag.
Haben Männer es in ihrem Beruf leichter als Frauen?
Ja. Zum einen tragen Frauen zusätzlich neben der Arbeit im Regelfall noch mehr Lasten im familiären Bereich. Zum anderen denken Männer vielleicht im Durchschnitt weniger nach, neigen eher zur Selbstüberschätzung und meinen, dass sie eh alles besser können. So eine Perspektive erleichtert einem den Anwaltsberuf vielleicht häufig…
Welche Stärken und welche Schwächen haben Sie?
Wenn mich ein Thema interessiert, kann ich mich darin verbeißen. Die Frage, ob das dann für mich als Anwalt wirtschaftlich sinnvoll ist, ist dann nachrangig. Ob das eine Stärke oder eine Schwäche ist, mag jeder selbst beurteilen. Als Kanzlei bemühen wir uns, unsere Mandanten so zu vertreten, wie wir selbst vertreten werden möchten. Das empfinde ich als Stärke.
Ihr größter Flop?
Im beruflichen Bereich fällt mir spontan nichts ein.
Was lesen / hören / schauen Sie morgens als erstes?
Nach dem Aufwachen, noch vor dem Aufstehen, werfe ich schon mal einen kurzen Blick auf dem Handy auf die Schlagzeilen von faz.net, Tagesspiegel und Spiegel-Online.
Ihr liebstes Hobby?
Ich habe gemeinsam mit einem Freund ein kleines Segelboot. Leider komme ich viel zu selten dazu, es zu nutzen.
Welche berufliche Entscheidung würden Sie rückblickend anders treffen?
Ich habe mich unmittelbar nach dem Referendariat mit zwei Kollegen selbstständig gemacht. Wir waren damals als Generalisten tätig, hatten also eine Feld-Wald-und-Wiese-Kanzlei. Heute würde ich jungen Anwältinnen und Anwälten raten, sich so früh wie möglich auf ein Fachgebiet zu spezialisieren, um schneller Expertise aufzubauen und effizienter arbeiten zu können. Dann ist die wirtschaftliche Durststrecke auch nicht so lang.
Welcher Rat hat Ihnen auf Ihrem Berufsweg besonders geholfen?
Ein Anwalt, bei dem ich während des Studiums ein Praktikum absolviert habe, sagte damals sinngemäß: „Vergiss niemals, dass Du vom Mandanten und nicht vom Richter bezahlt wirst.“