Frontalangriff auf die türkische Anwaltschaft

RA Bilinç Isparta, Vizepräsident und Menschenrechtsbeauftragter der Rechtsanwaltskammer Berlin

Von Bilinç Isparta, Vizepräsident und Menschenrechtsbeauftragter der RAK Berlin

Mit der selbstbenannten Säuberungsaktion nach dem Putschversuch in der Türkei im Sommer 2016 und der Inhaftierung von tausenden Richtern, Staatsanwälten und Angestellten der Justiz fand der Transformationsprozess der türkischen Justiz ihren traurigen Höhepunkt: Weg von einer, wenn auch nicht mit den hiesigen Maßstäben vergleichbaren, so doch in weiten Teilen unabhängigen und um den Ausbau der Unabhängigkeit ringenden Justiz, hin zu einer dem autokratischen Willen unterworfenen Justiz. Die Anwaltsorganisationen wie auch die Anwaltskammern konnten sich bisher der Kontrolle durch die Regierung entziehen und stellten sich offen gegen die rechtsstaatszersetzenden Maßnahmen der Regierenden und deren Methoden. Die Zentrierung der politischen Entscheidungsmacht auf den Staatspräsidenten und dessen weitreichende Befugnisse, die weit in die Organisation der Justiz hineinreichen, haben dafür gesorgt, dass die ehemals zerstrittenen Interessensgruppen ihre Differenzen überwunden und innerhalb der Rechtsanwaltschaft näher zusammengerückt sind. Sie setzen sich für das gemeinsame Ziel, den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit, die Unabhängigkeit der Justiz und vor allem für das Recht und den Anspruch auf eine freie, von staatlicher Regulierung und deren Übergriffen geschützte Advokatur wie für das geschützte Mandatsverhältnis ein.

Allen voran führen die großen Rechtsanwaltskammern Istanbul, Izmir, Bursa und Ankara die Bewegung zum Erhalt der rechtsstaatlichen Grundprinzipien an. Dass dieses Bestreben der Kammern mit den ihnen zur Verfügung stehenden personellen, finanziellen und auch medialen Ressourcen und ihre Vernetzung ins Ausland den politischen Bestrebungen zuwiderlaufen, dürfte hierbei nicht überraschen. Frühere Versuche der politischen Führung, die Vorstände der Rechtsanwaltskammern mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus ihren eigenen politischen Reihen zu besetzen scheiterten bisher. Nachdem die Anwaltskammern jedoch kürzlich vereint die Äußerungen des Vorsitzenden der staatlichen Religionsbehörde mit diskriminierendem Inhalt gegenüber Homosexuellen und Transgendern lautstark verurteilten, gerieten die Rechtsanwaltschaft und die Anwaltskammern erneut in den Fokus der politischen Machthaber.

Während die Vorstände der regionalen Kammern sich für die rechtsstaatlichen Grundprinzipien einsetzen, hat Prof. Dr. Metin Fevzioglu, der bislang ebenfalls regierungskritische Präsident der türkischen Rechtsanwaltskammer (das Pendant zur BRAK) in kurzer Zeit eine Kehrtwende vollzogen und agiert nun auf Linie der Regierung. Die Hintergründe für den Sinneswandel sind unklar und kommen selten über den Bereich der Gerüchte hinaus.

Tatsache ist nur, dass 10 Regionalkammern einen Antrag bei der türkischen Rechtsanwaltskammer auf Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung gestellt haben, um den Präsidenten neu zu wählen, nachdem dieser trotz des Protestes aller übrigen Kammern und deren Boykottaufruf an der Eröffnungsveranstaltung des Justizjahres (Wiedereröffnung nach der Sommerpause) im Präsidentenpalast teilgenommen hatte. Die Veranstaltung findet traditionell innerhalb der Justiz statt, zu der der Präsident eingeladen wird. Dass die Eröffnungsfeier im Präsidentenpalast, dem politischen Machtzentrum, stattfand, wird als Sinnbild für die fehlende Unabhängigkeit und den Machtanspruch des Präsidenten über die Justiz gewertet.

Der form- und fristgerechte Antrag zur Durchführung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung wurde durch den Präsidenten der türkischen Mitgliederversammlung abgelehnt. Gerichtliche Anträge hierzu hatten nach Auskunft der Istanbuler Rechtsanwaltskammer keinen Erfolg.

Die Regierung bewarb unter Anführung des Präsidenten der türkischen Rechtsanwaltskammern, Prof. Dr. Fevzioglu, einen neuerlich eingebrachten Gesetzesentwurf, der nicht nur die Struktur der türkischen Anwaltskammern grundlegend und nachhaltig verändern soll, sondern auch die Gefahr birgt, sich massiv auf die Zivilgesellschaft negativ auszuwirken und die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft und des Anwaltsberufs dauerhaft zu beschädigen.

Die geltende Rechtslage sieht die Gründung jeweils einer Rechtsanwaltskammer in jeder türkischen Provinz vor, in der sich mehr als 30 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte niederlassen. Der jetzige Gesetzesentwurf sieht vor, dass in Provinzen, in denen mehr als 5.000 Rechtsanwälte registriert sind, mehr als eine Rechtsanwaltskammer gegründet werden kann, wenn mindestens 2.000 Unterschriften von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten hierzu zusammengetragen werden. Der Gesetzesentwurf betrifft konkret die Provinzen Istanbul, Ankara und Izmir, eben jene großen Anwaltskammern, die sich seit jeher und wie keine andere Kammer für die Rechtsstaatsprinzipien, die Unabhängigkeit der Justiz und für die Rechte der Anwaltschaft und der Menschenrechte einsetzten und nicht selten öffentlich sowohl die Politik wie auch die Maßnahmen der Regierung kritisierten. Nunmehr soll es möglich sein, dass innerhalb einer Provinz mehrere Anwaltskammern gegründet werden.

Durch dieses Gesetz werden die jetzigen Anwaltskammern strukturell, finanziell und personell geschwächt und verlieren ihre jetzige Stellung und ihren Rückhalt in der Gesellschaft. Mehr noch wird der Druck auf den einzelnen Rechtsanwalt zunehmen, wenn dieser im Rahmen von Gerichtsverfahren einer bestimmten Rechtsanwaltskammer angehört oder eben nicht. Denn durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rechtsanwaltskammer dürfte unschwer die Gleichstellung mit einer politischen Gesinnung einhergehen, die eine selektive Betrachtung innerhalb der Richterschaft wie auch der Staatsanwaltschaft befürchten lässt. Derartige Entwicklungen hätten auch für das rechtssuchende Publikum gravierende Folgen. Was würde es für das rechtssuchende Publikum bedeuten, wenn in einem politisch aufgeheizten und polarisierenden Klima die Zugehörigkeit eines Rechtsanwalts zu der einen oder zu der anderen Rechtsanwaltskammer Rückschlüsse auf seine politische, weltanschauliche oder gesellschaftliche Blickweise ermöglichen könnten oder dies zu befürchten ist? Könnte der rechtssuchende Bürger noch den Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin ihres Vertrauens wählen? Würden Rechtsanwälte allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Anwaltskammer Nachteile erleiden oder aber, weil sie sich Vorteile erhoffen, die Anwaltskammer wechseln?

Trotz aller Bemühungen der türkischen Anwaltskammern und trotz der Unterstützung internationaler Anwaltsorganisationen und Rechtsanwaltskammern wie auch der Berliner Rechtsanwaltskammer konnte die Verabschiedung des Gesetzes vor kurzem nicht verhindert werden. Aktuell wird der erste Antrag auf Neugründung einer Rechtsanwaltskammer vorbereitet und es wurden die 2.000 Unterschriften mobilisiert. Dass dies in der Hauptstadt Ankara erfolgt ist mit all ihrer Symbolkraft Teil des politischen Kalküls. Wie in einem derartigem Klima der Stigmatisierung durch Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rechtsanwaltskammer der Rechtsanwaltsberuf in einer bereits in weiten Teilen politisch kontrollierten Justiz funktionieren soll, ist für den einzelnen Kollegen und der einzelnen Kollegin wie auch für das rechtssuchende Publikum nur schwer vorstellbar.

 

 

Kammerton 08/09-2020