Gegen starre Arbeitszeitvorgaben für die Anwaltschaft

Der Gesamtvorstand hat sich in seiner Sitzung am 10. Mai 2023 mit dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) befasst. Mit dem Referentenentwurf sollen die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss des BAG vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 –) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH-Urteil vom 14.05.2019 – C-55/18 –) umgesetzt werden. Beide Entscheidungen beziehen sich auf die „Arbeitszeitrichtlinie“ (Richtlinie 2003/88/EG).

Der Gesetzentwurf sieht die grundsätzliche uneingeschränkte Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auf elektronischem Wege für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (§ 16 Abs. 2 ArbZG-E) vor. Davon ausgenommen sind nur die in § 18 Abs. 1 ArbZG genannten Personen, u.a. leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes sowie Chefärztinnen und Chefärzte. Damit würden auch angestellte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dieser Arbeitszeiterfassung unterfallen, wenn sie nicht leitende Angestellte sind.

Der Referentenwurf stieß auf deutliche Kritik im Vorstand, da starre Arbeitszeitvorgaben mit der Arbeit der Anwaltschaft als unabhängiges Organ der Rechtspflege grundsätzlich nicht vereinbar seien. Die nach dem Arbeitszeitgesetz vorgesehenen Ausnahmen (z.B. § 14 ArbZG bei vorübergehenden Arbeiten und Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen) erlaubten keine hinreichende Abhilfe. Bei Vertrauensarbeitszeit könne die Aufzeichnungspflicht zwar auf die Mitarbeitenden übertragen werden, allerdings müssten die Arbeitgebenden auch dann Kenntnis von Verstößen gegen die Arbeitszeitregelungen erhalten.

Verschiedene Anwaltsverbände haben jetzt Änderungsvorschläge für das Arbeitszeitgesetz veröffentlicht: Das Forum der Wirtschaftskanzleien im Deutschen Anwaltverein fordert, die Anwaltschaft zwingend aus dem Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes auszunehmen, jedenfalls dann, wenn bei den Arbeitgebern ein geeignetes Konzept für den Gesundheitsschutz bestehe. Der Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD) verlangt eine Bereichsausnahme für alle freien Berufe, deren angestellte Berufsträger ihre Arbeitszeit im Wesentlichen frei bestimmen können. Dies solle vermutet werden, wenn der/die Berufsträger/-in mehr verdiene als die jeweilige Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung oder zur Arbeitslosenversicherung festlege.

Auch die Mehrheit des Vorstandes hat sich dafür ausgesprochen, den Gesetzgeber aufzufordern, die Anwaltschaft aus dem Anwendungsbereich des ArbZG herauszunehmen, ohne dies an weitere Voraussetzungen zu knüpfen. Die Bereichsausnahme sei vereinbar mit der Arbeitszeitrichtlinie und erleichtere auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es sei effektiver, die Ausnahme auf die Anwaltschaft zu begrenzen, da anderenfalls mit einem stärkeren Widerstand der Gewerkschaften zu rechnen sei. Die Argumentation des Bundesarbeitsgerichtes, dass die Richterinnen und Richter als unabhängige Organe der Rechtspflege nicht starren Arbeitszeitvorgaben unterlägen, könnte auf die Anwaltschaft übertragen werden.

Der Gesamtvorstand hat daraufhin am 12.05.2023 eine entsprechende Stellungnahme gegenüber der Bundesrechtsanwaltskammer abgegeben, die sich auf der Website der Rechtsanwaltskammer findet.

Kammerton 06-2023