Anwaltliche Handakten – was ist zu beachten? (§ 50 BRAO und § 17 BORA)

Das Führen der anwaltlichen Handakten erleichtert nicht nur eine fristgerechte und sorgfältige Mandatsbearbeitung sondern ist auch berufsrechtliche Pflicht (§ 50 Abs. 1 S. 1 BRAO). Die Handakten müssen ein zutreffendes Bild der Tätigkeit des Anwalts ermöglichen. Innerhalb der Aufbewahrungsfrist des § 50 Abs. 1 S. 2 BRAO von sechs Jahren müssen die Handakten zum Zweck der Aufsicht zur Verfügung stehen (BT-DS 18/9521, S. 115). Die Handakten können entsprechend § 50 Abs. 4 BRAO auch elektronisch geführt werden.

Die Aufbewahrungsfrist von sechs Jahren nach § 50 Abs. 1 S. 2 BRAO kann ein Anwalt für die Dokumente, die er aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat (§ 50 Abs. 2 S. 1 BRAO), erheblich verkürzen, wenn er seinen Auftraggeber aufgefordert hat, diese Dokumente in Empfang zu nehmen und dieser das innerhalb von sechs Monaten nach Zugang dieser Aufforderung nicht getan hat (§ 50 Abs. 2 S. 3 BRAO). Ein datenschutzrechtlicher Löschungsanspruch der Mandantschaft ist während der vorgeschriebenen Aufbewahrungszeit ausgeschlossen (BT-DS 18/9521, S. 115).

Verlangt der Auftraggeber die Herausgabe der Handakte, hat der Anwalt diese entsprechend § 50 Abs. 2 S. 1 BRAO herauszugeben, es sei denn, er macht ein Zurückbehaltungsrecht geltend (vgl. § 50 Abs. 3 BRAO – s.u.). Korrespondenz zwischen dem Anwalt und seinem Auftraggeber und Dokumente, die der Auftraggeber bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat, müssen nicht erneut herausgegeben werden (§ 50 Abs. 2 S. 4 BRAO). Hat der Mandant die Unterlagen bereits erhalten, aber nachträglich verloren, kann jedoch ein zivilrechtlicher Anspruch auf erneute Übersendung der Handakten bestehen (OLG Brandenburg, U.v. 11.04.2018, 11 U 123/16, Rn 16 – über juris).

Mit § 50 Abs. 3 S. 1 BRAO wird dem Anwalt ein Zurückbehaltungsrecht eingeräumt, für den Fall, dass der Auftraggeber die geschuldeten Gebühren und Auslagen nicht zahlt. Voraussetzung für die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ist das Vorliegen einer Kostenrechnung gemäß § 10 RVG, die aus dem zu den zurückbehaltenen Akten gehörenden Mandatsverhältnis stammt und spätestens mit Ausübung des Zurückbehaltungsrechts mitgeteilt werden muss (Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl., § 50 Rn. 21b m.w.N.). Eine Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ohne erteilte Abrechnung wäre pflichtwidrig. Bei der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ist zudem entsprechend § 50 Abs. 3 S. 2 BRAO stets auf die Verhältnismäßigkeit zu achten. Eine Zurückbehaltung wegen verhältnismäßig geringfügiger dem Anwalt geschuldeter Beträge würde gegen Treu und Glauben verstoßen. Das Zurückbehaltungsrecht besteht nach überwiegender Auffassung in Literatur und Rechtsprechung auch an Vollstreckungstiteln, es sei denn, es handelt sich um einen Unterhaltstitel (vgl. u.a. Thür. OLG, B. v. 13.12.2018, AZ 4 W 392/18 – RVG-Report 2019, 276 f.). Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts kann im Einzelfall unzulässig sein, wenn dem Auftraggeber dadurch ein unverhältnismäßig hoher Schaden entstehen würde (vgl. Feuerich/Weyland, aaO, § 50 Rn. 22 m.w.N.).

Im Falle der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts kann der Anwalt einem berechtigten Interesse des Mandanten auf Herausgabe der Handakten dadurch Rechnung tragen, dass er ihm Kopien überlässt. Ist das berechtigte Interesse des Mandanten gerade auf die Herausgabe der Originale gerichtet, darf der Rechtsanwalt anbieten, die Originale an einen von dem Mandanten zu beauftragenden Rechtsanwalt zu treuen Händen herauszugeben, wenn damit dem berechtigten Interesse des Mandanten Rechnung getragen wird (§ 17 BORA).

Kammerton 06/07-2019