Wann sind Zeithonorarklauseln transparent? - Über das EuGH-Urteil vom 12.01.2023

Mit Urteil vom 12. Januar 2023 (Az. C-395/21) hat der EuGH auf Vorlage des Obersten Gerichts in Litauen entschieden, dass eine Zeithonorar-Klausel in einem Vertrag zwischen Rechtsanwältin / Rechtsanwalt und Verbraucherin/ Verbraucher nur dann klar und verständlich sei, wenn die Verbraucherseite vor Vertragsabschluss volle Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen habe und die Entscheidung mit Bedacht treffen könne. Geschehe dies nicht, könne das nationale Gericht die Lage wiederherstellen, in der sich die Verbraucherseite ohne die Klausel befunden habe, auch wenn die Anwältin/ der Anwalt dann keine Vergütung erhalte.

Rechtsanwältin Kati Kunze

Fragen zu den Folgen an Rechtsanwältin Kati Kunze, Präsidiumsmitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin und Vorsitzende der Gebührenabteilung II:

 

Kammerton: Wie hat der Europäische Gerichtshof begründet, dass Voraussetzung einer wirksamen Zeithonorar-Klausel sei, dass die Verbraucherin oder der Verbraucher so informiert werde, dass dort die volle Kenntnis über die wirtschaftlichen Folgen bestehe?

Kati Kunze: Der Europäische Gerichtshof hat unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung wiederholt, dass eine Klausel nur dann transparent im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 ist, wenn der betroffene Verbraucher in der Lage ist, die sich für ihn daraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien einzuschätzen. Es sei für ihn von grundlegender Bedeutung, dass er vor Abschluss des Vertrags über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses informiert wird. Denn auf der Grundlage dieser Information entscheidet er, ob er an die ihm von seinem Vertragspartner vorformulierten Bedingungen gebunden sein möchte.

Dabei komme es auch darauf an, ob dem Verbraucher sämtliche Tatsachen mitgeteilt wurden, die sich auf den Umfang seiner Verpflichtung auswirken könnten und ihm erlauben, die finanziellen Folgen seiner Verpflichtung einzuschätzen. Im entschiedenen Fall war in der Vergütungsvereinbarung lediglich bestimmt, dass der Rechtsanwalt als Vergütung für jede Stunde, in der er Rechtsdienstleistungen erbringt, 100,00 Euro erhält. Das sei nicht ausreichend. Denn ohne weitere Angaben sei ein normal informierter und angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher nicht in der Lage, die finanziellen Folgen der Vergütungsvereinbarung, nämlich die für die Dienstleistungen insgesamt zu zahlende Vergütung, einzuschätzen.

Halten Sie die Entscheidung für sachgerecht?

Um das bewerten zu können, muss man auf die Entscheidung etwas näher eingehen.

Aus der Perspektive des Verbraucherschutzes sind die Erwägungen des EuGH zwar nachvollziehbar. Denn dass bei Abschluss eines Zeithonorars für Mandant*innen in vielen Fällen nicht absehbar ist, wie hoch die entstehenden Kosten sein werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Diese Ungewissheit wird man in vielen, wenn nicht sogar den meisten Fällen aber kaum durch eine Formulierung in der Vergütungsvereinbarung oder in anderer Weise im Vorfeld vollständig ausräumen können. Denn auch Rechtsanwält*innen haben keine hellseherischen Fähigkeiten. Der EuGH weist deshalb auch selbst darauf hin, dass es für Rechtsanwält*innen oft schwer, wenn nicht sogar unmöglich sein wird, bei Vertragsschluss vorherzusehen, wie viele Stunden genau erforderlich sein werden und mit welcher Vergütung hierfür insgesamt zu rechnen ist. Hinzu kommt, dass dies in vielen Fällen auch von unvorhergesehenen Umständen abhängig sein wird, auf die auch die Rechtsanwält*innen selbst keinen Einfluss haben.

Der EuGH verlangt deshalb auch keine Information über die endgültigen finanziellen Folgen. Das ist sachgerecht.

Problematisch ist aber, dass dennoch unklar bleibt, wie die Vergütungsvereinbarung aussehen muss bzw. was Rechtsanwält*innen tun müssen, um das Risiko, dass ihre Vergütungsvereinbarung als intransparent angesehen wird, zu vermeiden.

Laut EuGH müssen die Verbraucher bei Vertragsschluss so informiert werden, dass sie in der Lage sind, ihre Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis zum einen des Umstands, dass auch ungewisse Ereignisse eintreten können, und zum anderen der Folgen, die solche Ereignisse während der Dauer der Erbringung der betreffenden Rechtsdienstleistungen haben können, zu treffen. In diesen Informationen – die je nach Gegenstand und Art der in dem Vertrag über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen vorgesehenen Leistungen und je nach den einschlägigen berufs- und standesrechtlichen Vorschriften unterschiedlich ausfallen können – müssen Angaben enthalten sein, anhand derer der Verbraucher die Gesamtkosten der Rechtsdienstleistungen der Größenordnung nach einzuschätzen vermag. Als mögliche Lösungsansätze nennt der EuGH zwar eine Schätzung der Stunden, die voraussichtlich oder mindestens erforderlich sind oder die Verpflichtung, in angemessenen Zeitabständen Rechnungen oder regelmäßige Aufstellungen zu übermitteln, in denen die aufgewandten Arbeitsstunden ausgewiesen sind. Ob dies ausreichend sein kann, bleibt aber letztendlich offen. Hinsichtlich der angesprochenen Schätzung stellt sich zudem die Frage, welche Konsequenzen es haben kann, falls sich diese Schätzung später als unzutreffend erweist und wesentliche höhere Kosten als ursprünglich angenommen anfallen.

 

Muss die Anwaltschaft Vergütungsvereinbarungen auf Stundenbasis, wenn sie mit Verbraucherinnen oder Verbrauchern geschlossen werden, jetzt sorgfältiger als bisher vorbereiten?

Auch wenn leider zunächst unklar bleibt, welche konkreten Anforderungen die nationalen Gerichte an die Transparenz von Zeithonorarklauseln unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH stellen werden, kann nur empfohlen werden, bei der Gestaltung der Vergütungsvereinbarung darauf zukünftig besonderes Augenmerk zu richten und vorsorglich auch die vor Abschluss der Vereinbarung erfolgten Hinweise zu dokumentieren.

Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil nach deutschem Recht bei Unwirksamkeit der Vergütungsvereinbarung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB dann zwar über § 306 Abs. 1 und Abs. 2 BGB die Vorschriften die gesetzlichen Gebühren abrechenbar sein dürften. Insbesondere bei reinen Beratungstätigkeiten wird dies vielfach nicht hilfreich sein. Denn gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG dürfen für die außergerichtliche Beratung von Verbrauchern höchstens 250 Euro in Rechnung gestellt werden, wenn keine andere Vereinbarung getroffen wurde.

Die Entscheidung des EuGH betrifft zwar nur Verbraucherverträge. Dennoch kann es vorsorglich sinnvoll sein, diese auch bei Vergütungsvereinbarungen mit Unternehmen im Blick zu haben.

 

Empfehlen Sie, in Zukunft auf Pauschalhonorare oder auf die Abrechnung nach RVG unter Festlegung eines bestimmten Gegenstandswertes auszuweichen?

Dies können in vielen Fällen sicher hilfreiche Alternativen sein. Das Bedürfnis nach Zeithonorarvereinbarungen werden sie aus meiner Sicht aber nicht generell ersetzen können, insbesondere in Fällen, in denen die Bestimmung eines Gegenstandswertes nur schwer möglich ist oder die Leistung nicht pauschaliert werden kann, weil vor allem deren Umfang nicht kalkulierbar ist.

Kammerton 05-2023