Zur Neuregelung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen

RAin Beate Grether-Schliebs

Mit der großen BRAO-Reform, die am 1. August 2022 in Kraft treten wird, hat der Gesetzgeber auch die „Interessenskollision“ neu geregelt. Bisher lautet § 43a Abs. 4 BRAO lediglich: „Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertreten.“ Nun übernimmt § 43a Abs.4 BRAO[1] zum großen Teil den bisherigen § 3 Abs.1 – 3 BORA und wird ergänzt um die neu eingefügten § 43a Abs. 5  und 6 BRAO. § 3 BORA wiederum ist am 06.12.2021 von der Siebten Satzungsversammlung neu gefasst worden[2] und wird, nachdem das BMJ keine Bedenken hatte, auch am 01.08.2022 in Kraft treten.

Fragen zur Neuregelung an Vorstandsmitglied Beate Grether-Schliebs, Mitglied der Abteilung I:

43a Abs. 4 S.1 BRAO n.F. regelt: „Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er einen anderen Mandanten in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat“. Im bisherigen § 3 Abs. 1 BORA war statt vom anderen Mandanten von der anderen Partei die Rede. Wozu wird dieser Unterschied führen?

Es wird klargestellt, dass ein Mandatsverhältnis bestehen muss. Durch reine Anfragen nach einer Mandatsübernahme schriftlich oder im Vorgespräch wird keine Anwältin Kenntnisse erlangen, die zu einem Interessenkonflikt führen können. Das ist eine Erleichterung und verhindert die Praxis, an mehrere Kanzleien Angebote zur Mandatsübernahme zu schicken, um deren Auftreten für die Gegenseite vorab zu verhindern.

Auch ansonsten erlangte Kenntnisse außerhalb eines Mandatsverhältnisses verhindern nicht das Tätigwerden für die Gegenseite. Anders und nun ausdrücklich geregelt ist der Fall des Stationsreferendars, der nun erfasst wird (§43a Abs. 5 BRAO n.F.). Nicht geklärt sind die Fälle, in denen Referendarinnen im Rahmen einer Nebentätigkeit oder in denen Studierende als wissenschaftliche Mitarbeiter oder als Praktikanten arbeiten oder gearbeitet haben.

Sehr umstritten waren immer die Beurteilung der Sozietätserstreckung. Zu welcher Neuregelung ist es dabei gekommen?

Die Erstreckung des Tätigkeitsverbotes auf die Sozietät nach Vorbefassung eines Sozietätsmitgliedes bleibt bestehen, knüpft aber an die eigene anwaltliche Tätigkeit an.

Wozu führt dies beim Kanzleiwechsel?

Beim Kanzleiwechsel ist nun zu unterscheiden, ob der Wechsler selbst in der Sache tätig war, dann infiziert er auch die neue Kanzlei, d.h. er nimmt das Tätigkeitsverbot nach § 43 a Abs. 4 S.1 BRAO n.F. mit. Der mit der Sache nicht befasste Wechsler bleibt nach S. 2 mit dem Tätigkeitsverbot belegt, er infiziert aber seine neue Kanzlei nicht mit dem Tätigkeitsverbot, da für ihn selbst kein Verbot nach S. 1 bestand. Dies war bisher umstritten, weil nach dem Wortlaut des § 3 BORA der mit der Sache nicht befasste Wechsler die neue Kanzlei infizierte, dies aber zur sog. Kettenerstreckung des Tätigkeitsverbotes führte, was z.B. für junge Kollegen, die von Großkanzlei zu Großkanzlei wechseln wollen, zu einer Belastung führte, die auch im Lichte der Berufsausübungsfreiheit (Art 12 GG) problematisch war.

43a Abs. 4 S.3 BRAO n.F. stellt klar, dass ein Tätigkeitsverbot auch dann bestehen bleibt, wenn der bzw. die vorbefasste/n Kollege/ Kollegin die gemeinschaftliche Berufsausübung beendet. Bleiben die ehemaligen Kollegen des vorbefassten Rechtsanwalts damit für immer „verbrannt“?

Ja, für das spezifische Mandat bleibt das so, es sei denn, man lässt sich von dem Tätigkeitsverbot von dem Mandanten befreien (§ 43 a Abs. 4 Satz 4 BRAO).

Was ist unter widerstreitendem Interesse in § 43 a Abs. 4 Satz 1 BRAO zu verstehen?

Der Gesetzgeber hat widerstreitendes Interesse nicht definiert, es gilt daher die bisher dazu entwickelte Rechtsprechung und Lehrmeinung.

Welchen Zweck verfolgt der Gesetzgeber, indem er in § 43a Abs. 4 S. 5 BRAO aufnimmt, dass ein Tätigkeitsverbot auch für die Berufsausübungsgesellschaft gelte?

Das ist die konsequente Anwendung aller Regeln auf diese neue Möglichkeit der Zusammenarbeit von Anwältinnen mit anderen Berufsgruppen. Es wird hier aber auch die Befreiungsmöglichkeit durch den Mandanten nach Satz 5 geben.

Halten Sie es für sinnvoll, dass sich das Kollisionsverbot ab 1. August 2022 nicht mehr auf Bürogemeinschaften (bisher: § 3 Abs. 2 S. 1 BORA) erstrecken wird?

Ja, denn die bisherige Erstreckung war faktisch wegen des gleichzeitig bestehenden Anwaltsgeheimnisses gar nicht zu leisten: Die Anwältin in einer Bürogemeinschaft durfte ja gar nicht erfahren, welche Mandanten die Bürogemeinschaftspartnerin vertritt und konnte so ein eventuell bestehendes Tätigkeitsverbot gar nicht erkennen und beachten.

Die Beachtlichkeit des Einverständnisses der Mandanten ist in § 43a Abs. 4 S.4 BRAO n.F. klarer geregelt worden. Welche Konstellationen betrifft dies?

Dies betrifft ausdrücklich nur die in Satz 2 und 3 beschriebenen Fälle, also die Sozietätserstreckung. Sie gilt auch für die Berufsausübungsgesellschaft (Abs.4 Satz 5). Sie gilt entsprechend für den Fall des nun als Anwalt tätigen vorbefassten Stationsreferendars (Abs. 5 Satz 2).

Für den mit einem Tätigkeitsverbot belegten Anwalt selbst gibt es die Befreiungsmöglichkeit nicht.

Die Kanzlei muss dann geeignete Vorkehrungen treffen, die die „Verschwiegenheit des Rechtsanwaltes“ sicherstellen. Gemeint sein kann hier nur der dann tätige Rechtsanwalt, aber verschwiegen sein muss ja auch der, der vorher in derselben Sache tätig war. Richtigerweise nimmt man an, dass es einer sog. „Chinese Wall“ bedarf.

In dem neu gefassten § 3 BORA werden in Abs. 4 die Anforderungen an „Chinese Walls“ geschildert. Was wird verlangt?

Es muss eine getrennte Bearbeitung des Mandates erfolgen, was -wie ausdrücklich unter a) bis c) geregelt wird – bedeutet: Die Bearbeitung muss von Personen durchgeführt werden, die sich von der mit dem Tätigkeitsverbot belegten Person (und der Mitarbeiter) unterscheiden, der wechselseitige Zugriff auf die Papier- und auf die elektronischen Akten sowie auf das beA ist ausgeschlossen, die Kommunikation über das Mandat ist verboten . Insbesondere der Ausschluss der Vertretung über das beA, den man sonst ja sinnvollerweise einrichtet, erschwert ein Tätigwerden trotz Einverständnisses sehr.

Die Einhaltung dieser Vorschriften ist zu dokumentieren.

Halten Sie die Neuregelungen für gelungen?

Die Neuregelungen stellen eine Verbesserung und Klarstellung in der Anknüpfung an die Tätigkeit und das konkrete Mandat sowie in den Fällen der Sozietätswechsler dar. Sie sind daher zu begrüßen, weil sie einige Probleme lösen.

Sprachlich ist noch nicht alles gelungen, weiterhin ist nur von „dem Rechtsanwalt“ die Rede, nicht von „den Rechtsanwältinnen“ und nicht immer ist klar, ob der vorbefasste oder der infizierte (siehe S.4) Rechtsanwalt (die Rechtsanwältin?) gemeint ist.

 

[1] Bundesgesetzblatt Jahrgang 2021 Teil I Nr. 41 vom 12. Juli 2021, S. 2366 f.

[2] Vgl. Beschlüsse der Satzungsversammlung zur Berufsordnung

Kammerton 05-2022