Bericht der BRAK über die 83. Tagung der Gebührenreferenten[1] der Rechtsanwaltskammern, die auf Einladung der RAK Berlin am 07.10.2023 in Berlin stattfand.
1. Erhöhung der Verfahrenswerte in sämtlichen Kindschaftssachen
In den vergangenen Jahren haben Anzahl und Umfang der Verfahren in Kindschaftssachen enorm zugenommen. Der Arbeitsaufwand für in Kindschaftssachen tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist immens. Die anfallenden Gebühren sind in vielen Fällen nicht ansatzweise kostendeckend. Infolge der geplanten Unterhaltsreform ist außerdem damit zu rechnen, dass die Zahl der Verfahren weiter steigen wird. Der Zugang zum Recht für Kinder und Familien muss aber gewährleistet sein. Daher besteht nach Auffassung der Gebührenreferenten dringender Handlungsbedarf, dem enormen Arbeitsaufwand der Anwaltschaft Rechnung zu tragen.
Deshalb sprachen sich die Gebührenreferenten für die Erhöhung der Verfahrenswerte in sämtlichen Kindschaftssachen von 4.000 auf 5.000 Euro aus sowie die gesonderte Berücksichtigung jedes Kindes bei der Wertberechnung.
Diese Forderung entspricht der von DAV und BRAK aus ihrem gemeinsamen Katalog mit Vorschlägen zur linearen Erhöhung der Rechtsanwaltsvergütung in der 20. Legislaturperiode sowie zu strukturellen Änderungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (Ziff. II. Nr. 7 der BRAK-Stellungnahme-Nr. 51/2023), für die sich beide Anwaltsorganisationen aktuell einsetzen.
Die Gebührenreferenten legen den in Kindschaftssachen tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zudem nahe, die Gerichte (immer wieder) auf die nach § 45 Abs. 3 FamGKG bestehende Möglichkeit, den Wert höher festzusetzen, wenn der Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist, hinzuweisen.
2. Nr. 4102 VV RVG im Lichte der Änderungen im Strafverfahrensrecht – Änderungsbedarf oder potenziertes Sonderopfer der Anwaltschaft?
Die Gebührenreferenten sind der Auffassung, dass die in Satz 2 der Anm. zu Nr. 4102 VV RVG normierte Gebührenbeschränkung der Terminsgebühr, dass bis zu drei Termine durch eine Terminsgebühr entgolten werden, wegfallen soll. Die vorgerichtliche Terminsgebühr soll in Abänderung des Satzes 2 der Anm. zu Nr. 4102 VV RVG für jeden Termin (und nicht für drei Termine) anfallen. Denn für eine Beschränkung der Terminsgebühr gibt es keinen sachlichen Grund:
Zum einen ist die Regelung ein Anachronismus, der auf seinerzeitige Überlegungen der Rot-Grünen-Bundesregierung zurückgeht, ein dialogisches Vorverfahren im Strafrecht zu schaffen. Danach wären Verteidiger wesentlich stärker in das Ermittlungsverfahren einbezogen worden. Dies hätte eine Vielzahl an Terminen bewirkt, deren tatsächliche Anzahl nicht kalkulierbar gewesen wäre. Das dialogische Vorverfahren fiel aber der Diskontinuität anheim, sodass die Regelung überflüssig ist.
Zum anderen hat sich das Sonderopfer, das Pflichtverteidigern auferlegt wird, um für Beschuldigte die Verteidigung sicherzustellen, nach Ansicht der Gebührenreferenten durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung (BGBl. 2019 I, 2128) verschärft, da durch das geänderte Prozessrecht nun mehr Termine anfallen. Dafür müssen Verteidiger eine auskömmliche Vergütung erhalten.
3. Gebühr für Akteneinsicht bei elektronischer Übermittlung der Akte
Ferner haben sich die Gebührenreferenten mit der Frage befasst, ob eine Gebühr anfällt, wenn die Gerichte für die Akteneinsicht die Akte elektronisch übermitteln. Hintergrund ist, dass in der Praxis in diesen Fällen häufig eine Aktenversendungspauschale nach Nr. 9003 KV GKG berechnet wird.
Nach Auffassung der Gebührenreferenten löst die Überlassung elektronischer Akten nach dem geltenden Recht keine Auslagenpauschale aus.
Dies ist in Abs. 4 der Anm. zu Nr. 9000 KV GKG geregelt: „Bei der Gewährung der Einsicht in Akten wird eine Dokumentenpauschale nur erhoben, wenn auf besonderen Antrag ein Ausdruck einer elektronischen Akte oder ein Datenträger mit dem Inhalt einer elektronischen Akte übermittelt wird.“
Die Gewährung der Einsicht durch Überlassung einer elektronischen Akte ist daher nach der abschließenden Regelung des Abs. 4 der Anm. zu Nr. 9000 KV GKG auslagenfrei; dies gilt im Übrigen auch nach § 107 Abs. 5 OWiG. Gegen eine andere Handhabung in der Praxis sollten Rechtsanwälte vorgehen, so die Gebührenreferenten.
4. Gebührengutachten der Rechtsanwaltskammern
Die Gebührenreferenten fassten den Beschluss, dass die Vorstandsmitglieder der Rechtsanwaltskammern nicht verpflichtet sind, die für die Gerichte nach § 78 Abs. 3 Nr. 8 BRAO erstatteten Gutachten bei Gericht zu erläutern.
Die Rechtsanwaltskammer hat nicht die Stellung eines Sachverständigen im Sinne der §§ 402 ff. ZPO (siehe auch Toussaint/Toussaint, Kostenrecht, 23. Auflage, § 14 RVG, Rn. 88). Das von einer Rechtsanwaltskammern erstellte Gebührengutachten ist deswegen kein Sachverständigengutachten im Sinne des § 411 Abs. 1 ZPO, sondern ein Rechtsgutachten. Denn es ist kein Beweismittel, da es nicht der Feststellung von Tatsachen (vgl. § 286 Abs. 1 ZPO), sondern der Unterstützung des Gerichts bei seiner Rechtsfindung dient (ebenda). Deshalb sind die Vorschriften der ZPO über die Beweiserhebung durch Sachverständige für die Gutachtenerstellung nicht anwendbar, auch dann nicht, wenn das Gericht einen förmlichen Beweisbeschluss erlässt. Insofern ist eine Anordnung des Erscheinens vor Gericht zur Erläuterung des Gutachtens nach § 411 Abs. 3 ZPO ausgeschlossen (so auch ebenda, Rn. 103).
Hintergrund ist das dem Beschluss des OLG Brandenburg (Beschl. v. 26.6.2023 – 1 Ws 12/23) zugrundeliegende Verfahren, in dem ein Rechtsanwalt u. a. wegen versuchter Gebührenüberhöhung angeklagt worden war. Vor Anklageerhebung bat die Staatsanwaltschaft Potsdam die Rechtsanwaltskammer des Landes Brandenburg um eine gutachtliche Stellungnahme nach § 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO, die ein Vorstandsmitglied erstattete. Danach beantragte die Staatsanwaltschaft Potsdam bei dem zuständigen AG den Erlass eines Strafbefehls gegen den Rechtsanwalt. Auf den gegen diesen Strafbefehl eingelegten Einspruch des Rechtsanwalts hatte das AG einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumt und das Vorstandsmitglied als Sachverständige geladen. Im Hauptverhandlungstermin erstattete es ihr Gutachten.
5. Entstehung einer Einigungsgebühr beim Abschluss eines gerichtlich gebilligten Zwischenvergleichs im Umgangsverfahren
Der BGH hat entschieden (Urt. v. 25.05.2023 – IX ZR 161/22), dass ein im Hauptsacheverfahren zur Regelung des Umgangs geschlossener und gerichtlich zugebilligter Zwischenvergleich eine 1,0 Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1003 VV RVG zur Entstehung bringen kann.
Zum Sachverhalt: Bei der Vertretung in einem Umgangsverfahren war im Vorfeld eine Vergütungsvereinbarung getroffen worden, wonach nach einem Gegenstandswert von 10.000 Euro abzurechnen ist. Im Termin vor dem Familiengericht wurde ein gerichtlich gebilligter Zwischenvergleich (§ 156 Abs. 2 FamFG) geschlossen. Danach ist der Mandatsvertrag beendet worden. Die Mandantin wendete sich sodann gegen die von der Rechtsanwältin geltend gemachte Einigungsgebühr.
Die Gebührenreferenten halten diese Entscheidung für sehr erfreulich. Denn es wurde nun erstmals eindeutig entschieden, dass auch für gerichtlich gebilligte Zwischenvergleiche nach § 156 Abs. 2 FamFG eine Einigungsgebühr anfallen kann. Hierzu hatten die Oberlandesgerichte verschiedene Meinungen vertreten. Die Voraussetzung des BGH dafür, dass für den Zwischenvergleich eine Einigungsgebühr entstehen kann, findet sich in Rn. 17 a. E. des Urteils: „Maßgeblich ist, ob die geregelten Teile unabhängig vom weiterhin streitigen Rest Bestand haben sollen.“ Unter dieser Voraussetzung kann nach Auffassung der Gebührenreferenten die Entscheidung verallgemeinert und auf andere Rechtsbereiche übertragen werden.
6. Preisangabenverordnung: Angabe des Bruttobetrags des Stundensatzes in Vergütungsvereinbarungen erforderlich?
Ob in einer anwaltlichen Vergütungsvereinbarung aufgrund der Preisangabenverordnung (PAngV) der Bruttobetrag des Stundensatzes angegeben werden muss, war ebenfalls Thema der Tagung.
Die Gebührenreferenten sind der Auffassung, dass die Preisangabenverordnung grundsätzlich auf die anwaltliche Tätigkeit Anwendung findet, soweit der Rechtsanwalt, der „Unternehmer“ ist, mit Verbrauchern i. S. d. § 13 BGB in Geschäftsbeziehungen tritt und Bereichsausnahmen nach § 1 Abs. 2 PAngV nicht einschlägig sind.
In Bezug auf die Fragestellung kamen die Gebührenreferenten zu dem Ergebnis, dass – im Hinblick auf die Preisangabenverordnung (!) – in einer Vergütungsvereinbarung die einzelnen Stundensätze für die einzelnen Rechnungskomponenten nicht brutto ausgewiesen werden müssen, bei Gesamtpreisen einschließlich der Umsatzsteuer hingegen gegenüber Verbrauchern der Bruttobetrag.
Hinsichtlich der Anforderungen an die Transparenz im Sinne des nationalen AGB-Rechts und insbesondere des EuGH-Urteils vom 12.01.2023 (Az. C-395/21) könnte es aber dennoch ratsam sein, vorsorglich den Bruttopreis in der Stundenvereinbarung anzugeben.
7. 84. Tagung der Gebührenreferenten
Die RAK Stuttgart wird die 84. (Frühjahrs-)Tagung der Gebührenreferenten am 06.04.2023 ausrichten. Dabei werden sich die Gebührenreferentinnen und Gebührenreferenten schwerpunktmäßig mit den Auswirkungen des EuGH-Urteils vom 12.01.2023 (Az. C-395/21) zum Transparenzgebot bei einer Zeitaufwandsklausel in der Praxis befassen.
[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung geschlechtsspezifischer Sprachformen verzichtet. Die gewählte Form bezieht sich grundsätzlich auf Angehörige aller Geschlechter, sofern nicht ausdrücklich auf ein Geschlecht Bezug genommen wird.