RAin Carolin Kothe, eine der Initiatorinnen von Immigration 4 Ukraine, antwortet

Rechtsanwältin Carolin Kothe ist aktuell Teil des KPMG Legal Tech Team, Mitglied des Liquid Legal Instituts und eine der Initiatorinnen und Initiatoren von Immigration 4 Ukraine. Die Initiative bereitet Rechtsinformationen laienverständlich auf und will in naher Zukunft mittels Tech Tools ukrainischen Flüchtenden schnelle Hilfe ermöglichen und Behörden entlasten.

 

Warum sind Sie Rechtsanwältin geworden?

Als Rechtsanwalt muss man nicht nur Rechtskenntnisse vorweisen können, sondern muss sich regelmäßig in neue Sachthemen einarbeiten und sein Wissen laienverständlich und empathisch vermitteln. Dieser abwechslungsreiche Mix hat mich angezogen.

 

Ihre Vorbilder in der Anwaltschaft?

Um konkrete Personen hervorzuheben: Dr. Rocco Jula und Kai Jacob, für ihre empathische Mandantenarbeit und Ihr zukunftsorientiertes Teammanagement sowie, sofern man ihn als Anwalt des Landes Berlin versteht, meinen ehemaligen Teamleiter vom Berliner Wirtschaftssenat Sebastian Dettmann für seine juristische Genauigkeit.

 

Welche drei Eigenschaften sollte eine gute Rechtsanwältin oder ein guter Rechtsanwalt haben?

Resilienz, Integrität und Sprachkompetenz

 

Wem empfehlen Sie, den Anwaltsberuf zu ergreifen?

Denjenigen, die sich immer wieder gerne neuen Themen widmen möchten und diese aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten können. Außerdem sollte man gerne mit Menschen jeder Facette arbeiten wollen.

 

Welche berufsrechtlichen Vorschriften für die Anwaltschaft halten Sie für notwendig oder aber für überflüssig?

Die am 10.06.2021 verabschiedete BRAO-Reform legt u.a. mit § 59q Abs. 1 BRAO ein entscheidendes Fundament für den derzeitigen Wandel, der häufig auch als „Industrialisierung des Rechts“ verstanden wird. Ich betrachte dies optimistisch und sehe die Chancen in der Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen. Tools ermöglichen es Juristen im besten Fall, sich auf die Arbeit zu fokussieren, in denen sie einen Mehrwert schaffen, und zwar indem lästige administrative Arbeit entfällt.

 

Worum geht es Ihnen bei Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit in nächster Zeit?

In den letzten Wochen hat das Netzwerk von Immigration 4 Ukraine bereits Unglaubliches geschaffen. Es wurde ein teils automatisierter Prozess geschaffen, im Rahmen dessen Anwälte relevante Informationen zusammentragen, diese laienverständlich aufbereitet und übersetzt werden sowie in ein Design überführt werden, welches die entscheidenden Informationen auf einen Blick erfassbar machen. Zeitgleich entstand der Prototyp eines Chatbots, welcher den Nutzern hilft, die für ihn/sie relevanten Informationen herauszufiltern. In der nächsten Zeit werden wir die Informationsdatenbank auf weitere Länder erweitern und die Tools optimieren.  Natürlich werden die Rechtsfragen entsprechend der aktuellen Sachlage anzupassen sein, da sich der Schwerpunkt der Fragestellungen verlagert. Daher freuen wir uns auch über jedes neue aktive Mitglied in unserem Netzwerk. Sofern die allgemeinen Informationen nicht genügen, sollen die Hilfesuchenden an Fachanwälte weitervermittelt werden.

 

Was war Ihr Beweggrund für dieses Ehrenamt?

Ein Helfersyndrom gepaart mit dem ansteckenden Enthusiasmus der Mitinitiatorin Jolanda Rose.
Allgemein verstehen wir uns nicht als Initiative mit einer politischen Einstellung, sondern handeln aus Mitgefühl mit Menschen, die neben Hab und Gut vor allem Ihr komplettes (sozialen und berufliches) Umfeld aufgeben müssen.

 

Wieviel Zeit benötigen Sie für diese Aufgabe?

In den ersten Wochen arbeitete vor allem das Koordinatoren Team, darunter Maria Petrat, Iryna Artiushenko, Alexander Graf-Rachut, Sarah Rachut, Baltasar Cevz, Jolanda Rose und ich gefühlt Tag und Nacht – alle haben selbstverständlich auch „richtige Vollzeitjobs“. Mittlerweile verteilt sich die Arbeit auf ein großes Netzwerk, bei dem jeder einen kleinen Teil beiträgt.

 

Wofür fehlt der Anwaltschaft die Zeit?

Ich würde mir in Deutschland eine ähnlich stark ausgelebte pro bono Kultur wie z.B. in Südafrika wünschen. Bei größeren Kanzleien gibt es zwar häufig die Möglichkeit einige Wochenstunden für die pro bono Arbeit aufzuwenden, mein Eindruck ist jedoch, dass offener kommuniziert werden muss, dass dies auch befürwortet wird.

 

Nutzen Sie soziale Netzwerke?

Ich bin gelegentlich bei LinkedIn aktiv, um mich mit anderen engagierten Personen zu vernetzen.

 

Was macht Sie wütend?

In meinem Kopf hat sich der Spruch „Nur Faule haben Zeit zu meckern“ eingeprägt. Spaß beiseite, sind es die klassischen Verhaltensweisen wie Gier, Unehrlichkeit, Unzuverlässigkeit, etc.

 

Welchem Thema würden Sie ein Buch widmen und mit welchem Titel versehen?

Tatsächlich arbeite ich aktuell mit dem Liquid Legal Institut e.V. an einem Leitfaden für digitale Transformationen, der den Einstieg in die Thematik vereinfachen soll.

 

Mit wem würden Sie gerne einen Tag die Rolle tauschen?

Parkourläuferin Silke Sollfrank. Einmal so unbeschwert durch die Gegend „fliegen“, hätte sicherlich etwas für sich. Wenn es idealistischer sein soll, gäbe es zahlreiche Alternativen …

 

Haben Männer es in ihrem Beruf leichter als Frauen?

Es kommt darauf an und hierüber kann man sicherlich lange diskutieren. Persönlich habe ich glücklicherweise fast ausschließlich positive Erfahrungen gemacht und genieße viel familiären Rückhalt. Ich sehe jedoch, dass aufgrund der gesellschaftlichen Prägung tendenziell Frauen eher vor dem Anwaltsberuf zurückschrecken, da sie den Beruf als inkompatibel mit ihrem Leben erachten. Aufgrund des aktuellen gesellschaftlichen Wandels sehe ich aber auch einen positiven Trend. Zu befürworten ist z.B. auch die erhöhte Akzeptanz von Männern in Eltern(teil)zeit und die zunehmende Flexibilität der Arbeitsstundenaufteilung. Eine der m.E. sinnvollsten Initiativen ist „break the bias“.

 

Welche Stärken und welche Schwächen haben Sie?

Mir wurde häufig nachgesagt, mich schnell in Themen eindenken zu können und Kritik schnell umzusetzen. Durch meine verbindliche und offene Art habe ich in den Jahren bei vielen Kontakte ein ausgeprägtes Vertrauen aufgebaut. Dies zu spüren, freut mich jedes Mal.
Dafür sei meine Handschrift laut einiger Klausurkorrektoren und ehemaliger Lehrer wohl recht unleserlich. Zudem bin ich über Navigations-Apps sehr dankbar. Ich meine, dass ein gesunder Neurotizismus insbesondere als Jurist auch eher als Stärke zählen dürfte.

 

Ihr größter Flop?

Zu wenig Zeit mit den wichtigsten Menschen im Leben verbracht zu haben.

 

Was lesen / hören / schauen Sie morgens als erstes?

Als Allererstes höre ich meinen Wecker und sehe meinen Hund, der sich auf die morgendliche Spazierrunde freut.

 

Ihr liebstes Hobby?

Kampfsport und Schlagzeug. Beide Hobbys helfen auf ihre Weise den Kopf freizukriegen. Bei Ersterem würde man dies ansonsten auch schnell bereuen. Beim Schlagzeug schätze ich den meditativen Charakter.

 

Welche berufliche Entscheidung würden Sie rückblickend anders treffen?

Nun, ich bin jetzt 27 Jahre alt, also ist noch viel zeitlicher Spielraum für Fehlentscheidungen.  Bisher bin ich grundsätzlich zufrieden mit meinen Entscheidungen. Letztlich hat der Tag nur 24 Stunden und man kann leider nicht allem nachgehen.

 

Welcher Rat hat Ihnen auf Ihrem Berufsweg besonders geholfen?

Manchmal kann man nicht alles durchdenken. Manchmal muss man einfach machen.

Kammerton 04-2022