Auf der Flucht aus der Türkei nach Griechenland

Ezgi Cakir überreichte bei der Begrüßung ein Foto von Ebru Timtik. Timtik war am 27. August 2020 den Folgen des Todesfastens erlegen, mit dem sie erreichen wollte, dass das in vielfacher Hinsicht rechtsstaatswidrige CHD-Verfahren gegen mehrere Kolleginnen und Kollegen in der Türkei endlich fair geführt werde.

Ezgi Cakir war ebenfalls Angeklagte in dem sog. CHD- Strafverfahren, das gegen Mitglieder des progressiven Anwaltvereins CHD geführt wurde. Anders als Ebru Timtik wurde sie nicht inhaftiert, da ihre Tochter bei Verfahrensbeginn noch drei Jahre alt und der Vater des Kindes bereits inhaftiert gewesen ist, so Cakir.

Am 4. März 2022 war Ezgi Cakir (Foto) Gast bei der RAK Berlin und traf Vizepräsidentin Dr. Vera Hofmann und Vizepräsident und Menschenrechtsbeauftragten Bilinc Isparta. Cakir schilderte, wie im Juli 2017 das CHD-Verfahren gegen 17 Kolleginnen und Kollegen begann, das allein auf der anwaltlichen Tätigkeit der Beschuldigten beruhte. Die Anklagebehörde habe daher ihre Anklageschrift vor allem darauf gestützt, dass sie der Çağdaş Hukukçular Derneği (ÇHD), angehörten und die in der Türkei als terroristische Organisation eingeordnete Partei DHKP-C unterstützt hätten. In erster Instanz habe das Gericht die Angeklagten zwar zunächst alle freigesprochen, diese Entscheidung aber innerhalb von nur 10 Stunden wieder aufgehoben und 12 der Angeklagten wieder inhaftiert. Nach dieser Entscheidung sei die Kammer aufgelöst und das Verfahren von einer anderen Kammer unter der Leitung des Vorsitzenden Richters Akin Gürlek durchgeführt worden, der für politische Prozesse oft eingesetzt wurde. Ezgi Cakir berichtete, dass allein die manipulierten Beweismittel der Anklage berücksichtigt worden seien, ohne dass überhaupt einer der dabei angeführten Zeugen vor Gericht erschienen ist. (vgl. hierzu Isparta im KT 03/2019, S. 22 ff.) . Alle Angeklagten wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Av. Ezgi Cakir schilderte, dass sie während des Berufungsverfahrens nach Griechenland geflohen und dort in der Zwischenzeit als Asylberechtigte anerkannt wurde, nachdem der Druck durch die türkischen Behörden auf Sie und ihre Familienangehörigen erhöht worden sei. Anders als viele ihrer Kolleginnen und Kollegen wurde ihre Haftstrafe im September 2020 vom Berufungsgericht zwar herabgesetzt, allerdings werde ein anderes Strafverfahren in der Türkei noch gegen sie geführt.

Die regionalen Kammern, wie die Rechtsanwaltskammer Istanbul, haben die Angeklagten zwar unterstützt, allerdings bekamen die Kammern selbst erhebliche Schwierigkeiten und es bestand die Gefahr, dass sie aufgelöst werden. Erschwerend war, dass der Präsident der nationalen türkischen Rechtsanwaltskammer im Lager der Regierung stand, aber nunmehr bei Neuwahlen abgesetzt werden konnte.

Vizepräsidentin Dr. Vera Hofmann zollte Ezgi Cakir und den weiteren betroffenen Kolleginnen und Kollegen wegen ihres mutigen Einsatzes großen Respekt. Vizepräsident und Menschenrechtsbeauftragter Bilinc Isparta berichtete, dass sich, als er zeitweise das CHD-Verfahren in der Türkei beobachtet habe, schon im Gerichtssaal eindeutig gezeigt habe, wie rechtsstaatswidrig das ganze CHD-Verfahren sei.

Dr. Hofmann und Isparta versicherten Cakir, dass sich in Berlin viele Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dafür interessierten, wie ihre Kolleginnen und Kollegen in der Türkei arbeiten könnten. Daher hätte die Rechtsanwaltskammer das Interesse, zu diesem Thema in nächster Zeit eine Veranstaltung anzubieten.

Ezgi Cakir im Gespräch mit Vizepräsidentin Dr. Vera Hofmann und Vizepräsident und Menschenrechtsbeauftragter Bilinc Isparta. Fotos: Schick
Kammerton 04-2022