Zur Situation der Berliner Anwaltschaft während der Corona-Pandemie

Rechtsanwalt und Notar Dr. Marcus Mollnau Foto: Hoffotografen

Fragen an Kammerpräsident Dr. Marcus Mollnau

 

Frage: Herr Dr. Mollnau, wie beurteilen Sie die Situation der Anwaltschaft in Berlin seit Beginn der Coronakrise?

Dr. Mollnau: Wir alle haben sechs dramatische Wochen hinter uns. Innerhalb kürzester Zeit wurden die Lebensführung und die Arbeitsmöglichkeiten auch der Anwaltschaft ein- und beschränkt. Die Auswirkungen dieser Beschränkungen, insbesondere die wirtschaftlichen Folgen, werden wir in der Anwaltschaft teilweise erst zeitver­setzt in den nächsten Wochen und Monaten feststellen. Mir ist wichtig, dass auch dann noch Hilfsmittel und Unterstützungsleistungen vorhanden sind, um denjenigen zu helfen, die unverschuldet in wirtschaftliche Schwierigkeiten gekommen sind. Die Kammer wird sich dafür einsetzen. Und noch wichtiger ist, dass die Gerichte ihre Tätigkeit wieder aufnehmen und es gelingt, möglichst zeitnah zu einem normalen Gerichtsbetrieb zurückzukehren.

Aus Telefonaten und Gesprächen weiß ich, mit welchem Einfallsreichtum und Engagement die Berliner Anwaltschaft reagiert hat, um im Interesse der Rechtssuchenden weiterhin tätig sein zu können. Kanzleiabläufe wurden sehr kurzfristig umstrukturiert und neu organisiert, Mandantenbesuche durch Video- und Telefonkonferenzen ersetzt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Tätigkeit im Home-Office ermöglicht. Dabei zeigte sich, dass diejenigen, die bereits früher auf eine Digitalisierung der Kanzleiabläufe und des Rechtsverkehrs gesetzt hatten, im Vorteil waren.


Vor einem Monat waren die Bearbeitung der Festsetzungsanträge in Pflichtverteidigungs-, Beratungshilfe- und Prozesskostenhilfeverfahren sowie die Auszahlungen fast zum Erliegen gekommen. Hat sich dies gebessert?

Die Kammer hatte frühzeitig gegenüber der Senatsjustizverwaltung deutlich gemacht, dass es mehr als nur kontraproduktiv ist, wenn die Zahlungen eingestellt werden und dadurch Anwältinnen und Anwälte noch stärker auf staatliche Hilfsprogramme zurückgreifen müssen. Der Justizsenator hat dies dann akzeptiert und die Tätigkeiten der Kostenstellen als zum gerichtlichen Notbetrieb gehörend definiert. Es zeigte sich aber auch, z.B. beim Sozialgericht, dass die Wiederaufnahme der Tätigkeit länger dauert als deren Einstellung. Die Kammer wird diese wichtige Frage weiterhin engmaschig begleiten – und ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, bestehende Unzulänglichkeiten und Verzögerungen mitzuteilen.


Ein Kammermitglied ist vor dem Verwaltungsgericht und vor dem Oberverwaltungsgericht ohne Erfolg dagegen vorgegangen, dass in der bisherigen Fassung der Eindämmungsverordnung Mandantinnen und Mandanten gegenüber den Behörden glaubhaft machen mussten, der Besuch bei ihrem Anwalt sei „dringend erforderlich“. Besteht dieses Problem weiterhin?

Zuerst: Die aktuelle Berliner Eindämmungsverordnung (Stand 28. April 2020) enthält keine Regelungen zur Glaubhaftmachung eines dringenden Erfordernisses des Anwaltsbesuches mehr. Jeder Mandant und jede Mandantin kann seinen Anwalt oder seine Anwältin aufsuchen und Rechtsrat einholen. Und rückblickend betrachtet kann man sich die Frage stellen, ob es tatsächlich ein Problem gab oder es nur herbeigeredet wurde. Zumindest sind unserer Kammer und mir kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein Mandant auf der Straße angehalten und aufgefordert wurde, glaubhaft zu machen, der Termin bei seiner Rechtsanwältin sei „dringend erforderlich“. Positiv war, dass das OVG in seiner abweisenden Entscheidung diese rechtsstaatlich gebotene zurückhaltende Auslegung der früheren Regelung festgeschrieben hat.


Ist absehbar, wann die Justiz ihren Betrieb wieder in größerem Umfang aufnimmt?

Die Berliner Gerichte werden ab dem 4. Mai 2020 wieder „hochfahren“. Ich hatte Verständnis dafür, dass die Gerichtspräsidentinnen und –präsidenten bei der Organisation der gerichtlichen Arbeitsabläufe und dem ihnen obliegenden Schutz ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuerst und zeitlich begrenzt in einen Notbetrieb übergegangen sind. Niemandem wäre geholfen, wenn durch Infektionen und daraus folgender Quarantäne die Gerichte, einzelne Spruchkörper oder Geschäftsstellen auf längere Dauer ihre Tätigkeiten nicht mehr hätten ausüben können.

Aber jetzt kommt es darauf an, dass die Gerichte schnell wieder in Tritt kommen. Und das muss mit überobligatorischem Engagement durch die Richterinnen und Richter sowie dem Geschäftsstellenpersonal begleitet und initiiert werden. Dabei werden zuerst die Rückstände in den Geschäftsstellen auf- und abzuarbeiten sein. Alle nichtrichterlichen Beschäftigten wurden dazu ab dem 4. Mai 2020 wieder zur Arbeit an die Gerichtsstellen gerufen. Ich bin vorsichtig optimistisch, dass wir ab Juli wieder halbwegs einen gerichtlichen Normalbetrieb auffinden werden; trotz Abstandsgebot, trotz Desinfektionsnotwendigkeiten, trotz ausgedünnter Verhandlungstage. Mit diesen Beschränkungen werden wir noch lange leben und auch arbeiten müssen.

Und es ist Einfallsreichtum auch bei den Gerichten und der Verwaltung gefragt: wenn z.B. für mit hohen Teilnehmerzahlen versehene Zwangsversteigerungstermine kein ausreichend großer Saal im Gericht zur Verfügung steht, muss eben ein externer Saal angemietet werden.

Die Anwaltszimmer in den Gerichten werden ab dem 11. Mai 2020 wieder geöffnet. Auch dort muss jedoch das Abstandsgebot eingehalten werden, so dass die Verweildauer reduziert und zudem die Zahl der zeitgleich Anwesenden beschränkt werden müssen.


Seit Montag zählt auch die Anwaltschaft zu den systemrelevanten Berufen für die Kita- und Schulnotbetreuung. Wie ist es zu der Entscheidung gekommen?

Es war ein unverständliches Versäumnis des Berliner Senats, die Berliner Anwaltschaft nicht von Beginn an in die „systemrelevanten Berufe“ mit Anspruch auf Kita/Schul-Notbetreuung einzustufen! Wer die Aufrechterhaltung von Rechtsstaatlichkeit propagiert, darf die Anwaltschaft und deren Leistungsfähigkeit nicht schmälern sondern muss sie fördern. Erst durch intensives Nachfassen unserer Kammer bei Senatsverwaltungen und Landespolitikern gelang es, eine Korrektur durchzusetzen. Dass das gelungen ist, freut mich.


Funktioniert die Notbetreuung für die Kammermitglieder und auch für das Personal in den Kanzleien?

Ich hoffe das! Nachdem die Änderung der systemrelevanten Berufe bekannt gemacht wurde, gab es vereinzelt Probleme bei der Umsetzung. Aber das konnte durch ein von uns veranlasstes Bestätigungsschreiben der Bildungssenatsverwaltung, das sich jedes Kammermitglied von der Kammerwebsite herunterladen kann, aus dem Weg geräumt werden.


Zu Beginn stand den Verteidigerinnen und Verteidigern in der JVA Moabit nur ein Trennscheibensprechraum zur Verfügung, so dass den Gefangenen der Zugang zu ihrem Verteidiger weitgehend vereitelt wurde. Konnte dies schnell behoben werden?

Schnell ist immer relativ, aber dennoch: heute stehen immerhin mehrere Besprechungsräume zur Verfügung, die mit den für erforderlich angesehenen Schutzeinrichtungen ausgestattet sind. Gerade die Aufrechterhaltung der Kontaktmöglichkeiten zwischen Inhaftierten und ihrer anwaltlichen Vertretung war von der ersten Stunde an ein besonderes Anliegen der Kammer. In den ständigen Kontakten zur Senatsjustizverwaltung konnte das problematisiert und Verbesserungen durchgesetzt werden; unsere Kammer sowie die Vereinigung Berliner Strafverteidiger fanden dafür in Justizsenator Dr. Behrendt auch den richtigen und engagierten Ansprechpartner.


Inwieweit hat die RAK ihre Tätigkeit zurzeit eingeschränkt?

Ich bin sehr beeindruckt über den Arbeitseinsatz und den Ideenreichtum unserer Kammermitarbeiterinnen und –mitarbeiter. Auch unsere Geschäftsstelle musste ad hoc die Arbeitsabläufe umstellen; so sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Teams eingeteilt sowie zeitversetzt zur Arbeit eingesetzt worden; der Besucherverkehr musste eingeschränkt werden, die Vereidigung der Kolleginnen und Kollegen neu strukturiert werden usw.. Das hat – auch dank einer hervorragenden Geschäftsführung der Kammer – geräuschlos funktioniert. Rückblickend betrachtet kann ich sagen: die Kammer und unsere Geschäftsstelle haben auch in diesen Zeiten ihre Aufgaben erfüllt; und sie werden das weiterhin erfolgreich tun.


Es gibt eine Reihe von neuen gesetzlichen Regelungen, um die Corona-Krise zu bewältigen.

Diese Gesetzgebungsverfahren wurden in einer atemberaubenden Geschwindigkeit durchgeführt. Wenn unsere Kammer z.B. um 14:30 Uhr eine Mail bekommt, um bis zum selben Tag 17:00 Uhr zu einem Gesetzgebungsprojekt Stellung nehmen zu können, kann sich jeder vorstellen, wie die Gesetzgebungsarbeit lief. Es zeigt sich aber auch, dass es schnell gehen kann! Und dennoch: Gerade die Anwaltschaft muss jedes einzelne Gesetzgebungsverfahren mit Argusaugen beobachten und auch begleiten. Denn es wird eine Zeit nach der Corona-Pandemie geben, und dann darf unser Leben, unsere Arbeit und unsere Gesellschaft nicht durch beschränkende, einschränkende oder gar grundrechtsknebelnde Regelungen belastet werden. Alle pandemiebedingten Regelungen müssen deshalb unter einem kurzen zeitlichen Geltungsvorbehalt stehen. Deshalb steht die ständige Überprüfung der Erforderlichkeit und Angemessenheit gesetzlicher Regelungen ganz oben auf der Tagesordnung.


Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat einen Gesetzgebungsvorschlag vorgelegt, der den Kammern den Widerruf der Rechtsanwaltszulassung bei einem pandemiebedingten Vermögensverfall untersagen soll. Ist das erforderlich?

Da muss sich jemand im DAV-Home-Office wirklich sehr gelangweilt haben: es gibt keinerlei Erfordernis für eine derartige Regelung. Denn zum einen kann die Frage, ob ein Rechtsanwalt coronabedingt Liquiditätsengpässe vorübergehender Art zu verzeichnen hat, nicht mit dem für einen Widerruf notwendigen nachhaltigen Vermögensverfall verglichen werden. Und zum anderen müsste zusätzlich eine durch den Vermögensverfall bedingte Gefährdung der Rechtssuchenden vorliegen.

Durch die tagtägliche Arbeit der Kammern sowie die Rechtsprechung sind vielfältige Möglichkeiten und Handlungsvarianten vorgegeben, die es Kolleginnen und Kollegen auch in wirtschaftlichen Schwierigkeiten ermöglicht, ihre anwaltliche Tätigkeit konsolidierend fortzusetzen. Ich kann jedem Kammermitglied versichern: wegen pandemiebedingter wirtschaftlicher Probleme wird die RAK Berlin keinen Zulassungswiderruf aussprechen. Und dem DAV wird es sicher gelingen, die Scherben seines Vorschlages zusammenzukehren.


Wo finden Kammermitglieder, die durch die Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, Unterstützung?

Am häufigsten genutzt werden die Zuschüsse des Bundes, die bei der Investitionsbank Berlin (IBB) online beantragt werden können. Die Höhe der Soforthilfe beträgt bis zu 9.000,- € für Antragsteller mit bis zu 5 Beschäftigten und bis zu 15.000,- € für Antragsteller mit bis zu 10 Beschäftigten. Die Antragstellung ist bislang immer montags bis freitags möglich. Der Zuschuss leistet einen Beitrag zu den laufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwendungen, also z.B. für gewerbliche Mieten oder Leasingkosten für unternehmerisch genutzte Pkw, nicht aber für Personalkosten.

Weitere Informationen finden Sie in diesem Kammerton im Beitrag „Kurzarbeitergeld und Entschädigungsansprüche“ und auf der Website der RAK Berlin.

Kammerton 04-2020