Bericht zum 11. Tag des bedrohten Anwalts 2021 - Aserbaidschan

Von Vorstandsmitglied Ursula Groos

 

Anlässlich des 11. Tags des verfolgten Anwalts haben weltweit Anwält*innenorganisationen und Kammern dazu aufgrufen, sich an Veranstaltungen und Kundgebungen zu beteiligen und auf die Situation unserer Kolleginnen und Kollegen in Aserbaidschan aufmerksam zu machen.

Am 22.01.2021 versammelten sich weltweit Kolleginnen und Kollegen vor den Botschaften der Republik Aserbaidschan.

Etwa 20 Kolleginnen und Kollegen bei der Kundgebung.

So auch in Berlin. Hier folgten ca. 20 Kolleginnen und Kollegen dem Aufruf der RAK Berlin, des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) sowie der Vereinigung Berliner Strafverteidiger.

Rechtsanwalt Dr. Lukas Theune, Geschäftsführer des RAV, und Rechtsanwältin Ursula Groos, Mitglied im Vorstand der RAK Berlin, verlasen die Petition. Da es keine Möglichkeit gab, die Petition persönlich an den Botschafter zu übergeben, wurde sie in den Briefkasten eingelegt.

Rechtsanwältin Ursula Groß, Vorstandsmitglied der RAK Berlin, las aus der Petition vor. Im Hintergrund weitere Vorstandsmitglieder der RAK.

Obwohl von Aserbaidschan in den Jahren nach seiner Unabhängigkeit im Jahr 1991 die wichtigsten internationalen und europäischen Menschenrechtsverträge ratifiziert wurden, wurden von Ausschüssen der Vereinten Nationen, dem Europarat und Nichtregierungsorganisationen ständige Menschenrechtsverletzungen festgestellt.  Aserbaidschanische Anwält*innen, die die Opfer dieser Menschenrechtsverletzungen vertraten und z.B. über Folter und Misshandlungen in Polizeigewahrsam berichteten, erlitten selbst schwere Verletzungen ihrer Grundrechte.

Ein neues Gesetz wurde missbraucht, um Anwält*innen an der Ausübung ihres Berufes zu hindern.

Seit dem 1. Januar 2018 sind Änderungen der Zivilprozessordnung, der Verwaltungsverfahrensordnung und des Gesetzes über Rechtsanwält*innen und Anwaltstätigkeiten in Kraft getreten. Rechtsanwält*innen, die nicht Mitglied der Aserbaidschanischen Anwaltskammer (ABA) sind, ist die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs verboten. Dagegen wäre grundsätzlich nichts einzuwenden. Es stellte sich jedoch heraus, dass diese neuen Gesetze dazu benutzt werden,  Menschenrechtsanwält*innen daran zu hindern, Mitglieder der ABA zu werden, und um diejenigen auszuschließen, die aufgenommen worden waren.

Überwachung und Berichterstattung durch europäische und internationale Organisationen

In den Jahren nach der Unabhängigkeit Aserbaidschans wurden regelmäßig Erhebungen von europäischen und internationalen Institutionen und NGOs durchgeführt, um die Menschenrechtssituation in Aserbaidschan zu beobachten und der Regierung Verbesserungen vorzuschlagen.

Die Arbeitsgruppe zu willkürlichen Inhaftierungen des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte stellte in ihrem Bericht nach ihrem Besuch in Aserbaidschan (29. September 2017) fest, dass die Anwält*innen, die dabei halfen, die Fälle von Menschenrechtsverteidiger*innen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu bringen, von der Liste gestrichen oder sogar wegen verschiedener Anschuldigungen inhaftiert wurden.

In ihrem Bericht vom 11. Dezember 2019 forderte die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, die Behörden auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht auf Zugang zu einem qualifizierten Rechtsbeistand für alle Personen von Beginn ihrer Freiheitsentziehung an zu gewährleisten. „Die Behörden sollten ein Gesetz über Prozesskostenhilfe in Übereinstimmung mit den Standards des Europarats verabschieden und sicherstellen, dass alle Personen tatsächlich das Recht auf einen Rechtsbeistand genießen“, sagte sie. Die Verhängung von Disziplinarstrafen – wie z. B. der Ausschluss aus der Anwaltschaft – aus unangemessenen Gründen und nach unklaren Kriterien ist nach wie vor ein ernstes Problem. „Die meisten der Anwält*innen, die kürzlich von der Liste gestrichen wurden oder deren Zulassungen ausgesetzt wurden, arbeiteten an Fällen, die als politisch sensibel gelten.  Dies legt nahe, dass Disziplinarmaßnahmen als Mittel zur Bestrafung von Anwält*innen eingesetzt werden, die sich mit sensiblen Fällen befassen. Die Anwaltskammer muss die Verfahrensgarantien stärken, um sicherzustellen, dass Verfahren gegen Rechtsanwält*innen transparent und fair sind. Es ist auch von entscheidender Bedeutung, das Recht der Anwält*innen zu verteidigen, ihre Meinung zu Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu äußern.“

Vor der Botschaft der Republik Aserbaidschan in der Hubertusallee

 

Bericht des EGMR zu Aserbaidschan 2020

In seinem Bericht über Aserbaidschan vom Oktober 2020 erwähnte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diverse Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die Aserbaidschan im Jahr 2002 ratifiziert hat.

Offener Brief des Menschenrechtsinstituts der Internationalen Anwaltskammer 2019

2019 hat das Menschenrechtsinstitut der Internationalen Anwaltskammer (IBAHRI) einen offenen Brief mitunterzeichnet, in dem die von der aserbaidschanischen Anwaltskammer gegen eine Menschenrechtsanwältin verhängte Sanktion verurteilt wird. „Die unterzeichnenden Organisationen fordern die aserbaidschanische Anwaltskammer auf, die Zulassung von Rechtsanwältin Humbatova und anderen Menschenrechtsanwält*innen, denen willkürlich die Zulassung entzogen wurde, wiederherzustellen und die Unabhängigkeit der Anwaltschaft in Aserbaidschan zu schützen, anstatt sie zu untergraben. Wir fordern die aserbaidschanische Regierung außerdem auf, die internationalen Standards zum Schutz der Anwaltschaft einzuhalten, einschließlich derer, die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in den UN-Grundprinzipien zur Rolle der Rechtsanwält*innen (30. Jahrestag im Jahr 2020) enthalten sind.“

Zwischenbericht zum Universellen Periodischen Report 2020

In Vorbereitung auf die Erstellung des Universellen Periodischen Reports (UPR) zu Aserbaidschan im Jahr 2023 hatten Lawyers for Lawyers und die Bar Association of England and Wales einen Zwischenbericht erstellt. In diesem Bericht legen sie dar, inwieweit Aserbaidschan die im Rahmen der UPR 2018 angenommenen Empfehlungen im Hinblick auf die Rolle der Rechtsanwält*innen umgesetzt hat.

Im Kontext mit dem UPR 2018 akzeptierte Aserbaidschan vier Empfehlungen zum wirksamen Schutz von Anwält*innen, einschließlich Disziplinarmaßnahmen gegen Anwält*innen und Zugang zur Justiz. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass Aserbaidschan die vier Empfehlungen bezüglich der Rechtsanwält*innen nicht angemessen umgesetzt hat.

Die aserbaidschanischen Behörden haben es versäumt, die Rechte von Anwält*innen zu respektieren, indem sie ihnen nicht erlauben, ihren Beruf angemessen und ohne Einschüchterung, Behinderung, Schikanen oder unangemessene Einmischung auszuüben. Darüber hinaus haben die aserbaidschanischen Behörden keine wesentlichen Maßnahmen ergriffen, um das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen und sicherzustellen, dass jede*r Bürger*in effektiven Zugang zur Justiz und zum Rechtsbeistand eigener Wahl hat.

V.l.n.r.: Hannes Honecker (Vorstand Vereinigung Berliner Strafverteidiger e.V.), Dr. Marcus Mollnau (Präsident der RAK Berlin), Ahmed Abed (Vorstand der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V) und Dr. Peer Stolle (Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteveins) werfen die Petition in den Briefkasten der Botschaft der Republik Aserbaidschan ein.

Die Verfolgung und Schikanierung unabhängiger Anwält*innen, ihre strafrechtliche Verfolgung und ihr Berufsverbot durch die aserbaidschanischen Behörden haben sich in den letzten Jahren verstärkt. Diese Sanktionen zielen darauf ab, ihre Fähigkeit einzuschränken, sich mit wichtigen und politisch „sensiblen“ Fällen zu befassen, insbesondere mit solchen, die Menschenrechtsverletzungen beinhalten.

 

Es werden in der Petition folgende Empfehlungen ausgesprochen:

– Die Urteile des EGMR zu Menschenrechtsverteidigern, einschließlich Rechtsanwälten, müssen vollständig umgesetzt werden.

– Die Europäische Menschenrechtskonvention muss vollständig umgesetzt werden.

– Die UN-Grundprinzipien zur Rolle der Anwälte sollten vollständig umgesetzt werden.

– Anwälte, die durch ungerechtfertigte und rechtswidrige Maßnahmen wie Berufsverbot oder Freiheitsentzug Schaden erlitten haben, müssen voll entschädigt werden.

– Anwälte sollten nicht daran gehindert werden, ihre bürgerlichen und politischen Rechte auszuüben.

– die Unabhängigkeit und Rolle der Anwälte muss von allen staatlichen Institutionen respektiert werden.

– der Ehrenkodex, der die Meinungsfreiheit von Anwälten einschränkt, muss geändert werden, um sicherzustellen, dass er mit den Standards der Rechtsprechung des EGMR zur Meinungsfreiheit von Anwälten übereinstimmt.

– Alle staatlichen Behörden sollten in Zusammenarbeit und Absprache mit der Anwaltskammer und den Anwälten selbst Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Anwälte vor Einschüchterung und Belästigung oder anderen unangemessenen Eingriffen in ihre Arbeit geschützt sind.

– Keine Exekutiv- oder Justizbehörde sollte strafrechtliche, verwaltungsrechtliche, wirtschaftliche oder andere Sanktionen gegen Anwälte für Handlungen einleiten oder androhen, die mit ihren beruflichen Pflichten, ihrer Berufsethik und etablierten Standards übereinstimmen.

– Die Rolle und die Pflicht der Anwälte, ihre Mandanten zu vertreten, müssen respektiert werden; Anwälte sollten niemals mit ihren Mandanten oder mit den von ihren Mandanten verteidigten Anliegen identifiziert werden, weil sie Mandanten verteidigen, deren politische Positionen denen der Regierung entgegenstehen.

– Die IBA sollte die Rolle, die sie in der Governance der Anwaltschaft spielt, überdenken. Sie sollte im Rahmen eines Konsultationsprozesses eine interne Reform einleiten, die auf den Grundsätzen der Unabhängigkeit des Berufsstandes, hoher Standards der Rechtspraxis, des Schutzes der Anwälte vor Bedrohung, Belästigung und Beeinträchtigung ihrer Arbeit sowie der demokratischen Beteiligung ihrer Mitglieder beruht.

– Der gesetzliche Rahmen der ABA-Qualifizierungskommission sollte reformiert werden, um ihre institutionelle Unabhängigkeit zu gewährleisten.

– Das Disziplinarverfahren der ABA muss fair, objektiv und transparent sein und die Unabhängigkeit der Anwälte in Aserbaidschan unterstützen. Sie muss im Einklang mit den Grundprinzipien zur Rolle der Rechtsanwälte und der Empfehlung Nr. r(2000)21 des Europarats zur freien Ausübung des Rechtsanwaltsberufs stehen. Die Regierung und die ABA sollten sicherstellen, dass die Disziplinarkommission bei ihrer Entscheidungsfindung frei von jeglichem unangemessenen Druck oder Einfluss ist und dass Anwälte nicht mit Disziplinarstrafen für Handlungen belegt werden, die mit ihren beruflichen Pflichten vereinbar sind, wie z. B. die Verteidigung der Interessen des Mandanten oder die Förderung der Sache der Gerechtigkeit oder die Förderung der Menschenrechte, einschließlich der öffentlichen Anprangerung von Menschenrechtsverletzungen ihrer Mandanten oder anderer.

– Alle Entscheidungen der Disziplinarkommission sollten einer unabhängigen gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden.

– Das Gesetz über Rechtsanwälte und die Tätigkeit von Rechtsanwälten sollte geändert und die Transparenz der Zulassungskriterien und -verfahren gewährleistet werden.

 

 

Kammerton 03-2021