Maßnahmen im Bereich des Berliner Strafvollzugs aus Anlass des Coronavirus

MITTEILUNG DER SENATSVERWALTUNG FÜR JUSTIZ, VERBRAUCHERSCHUTZ UND ANTIDISKRIMINIERUNG VOM 17.03.2020

Strafvollstreckungsrechtliche und vergleichbare Maßnahmen

Aufschub und Unterbrechung von Ersatzfreiheitsstrafen aus Gründen der Vollzugsorganisation gem. § 455a StPO

Die Strafvollstreckungsbehörde wurde bereits mit Schreiben vom 13. März 2020 gebeten, hinsichtlich auf freiem Fuß befindlicher Verurteilter, gegen die ausschließlich Ersatzfreiheitsstrafen zu vollstrecken sind, die Vollstreckung ab sofort generell und bis zunächst zum 15. Juli 2020 aufzuschieben. Nunmehr soll auch für sämtliche Gefangene, gegen die zurzeit in Berlin allein Ersatzfreiheitsstrafe vollzogen wird, die Vollstreckung gemäß § 455 Abs. 1 StPO unterbrochen werden. Für diesen Personenkreis sollen deshalb die jeweiligen Vollzugsanstalten ab sofort und zunächst bis zum 15. Juli 2020 eine Unterbrechung der Vollstreckung aus Gründen der Vollzugsorganisation gem. § 455a Abs. 1 StPO bei der Vollstreckungsbehörde beantragen.

Vollstreckungsaufschub aus Gründen der Vollzugsorganisation gem. § 455a StPO auch bei kurzen Freiheitsstrafen
Die Corona-Epidemie macht aus hiesiger Sicht auch den Aufschub der Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren erforderlich. Die Strafvollstreckungsbehörde wurde daher gebeten, von einer Ladung zum Strafantritt, den Erlass eines Vollstreckungshaftbefehls und Fahndungen in den diesen Fällen ab sofort bis zunächst zum 15. Juli 2020 abzusehen, sofern keine Vollstreckungsverjährung droht oder zwingende spezialpräventive Gründe entgegenstehen. In den Fällen, in denen bereits eine Ladung zum Strafantritt erfolgt ist, ein Aufnahmeersuchen gestellt oder ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen wurde, sollen diese unter den vorbezeichneten Bedingungen aufgehoben werden.

Entlassung aus der Jugendarrestanstalt Berlin und Aufnahmestopp wegen der Corona-Epidemie
Beginnend am 22. März 2020, 22.00 Uhr erfolgt die Entlassung sämtlicher dann noch im Jugendarrest in der Jugendarrestanstalt Berlin befindlicher Personen. Bis zunächst zum 15. Juli 2020 soll zudem sichergestellt werden, dass dort auch keine Neuaufnahmen erfolgen.

Weitere Maßnahmen

Außenkontakte / Besuche
Besuche in den Justizvollzugsanstalten werden ihrem Umfang nach auf monatlich zwei Stunden beschränkt (ausgenommen hiervon die Sicherungsverwahrung). Zum Besuch wird grundsätzlich jeweils nur noch eine Person zugelassen. Kinder unter 16 Jahren werden nicht mehr zugelassen. Bei der Ausgestaltung der Besuche ist darauf zu achten, dass zwischen Personen ein Mindestabstand von 1,5 m eingehalten wird. Jeglicher körperlicher Kontakt ist untersagt. Langzeitbesuche und sog. Meetings werden untersagt. Eingangskontrollen sollen vorwiegend durch Absonden erfolgen, um körperlichen Kontakt weitgehend zu vermeiden. Besuche im Justizvollzugskrankenhaus werden ihrem Umfang nach auf monatlich zwei Stunden beschränkt und nur noch für Schwerstkranke sowie Gefangene unter 16 Jahren zugelassen, allerdings nicht von Personen mit Atemwegserkrankungen. Diese Regelungen gelten umgehend, spätestens ab Mittwoch, den 18. März 2020, zunächst bis zum 19. April 2020. Besucher sind durch die Anstalten und über die jeweiligen Internetseiten zu informieren. Die Möglichkeit, Außenkontakte (insbesondere zu den eigenen minderjährigen Kindern) per Skype zu pflegen, wird mit Nachdruck geprüft. Ebenso wird die Übernahme von Telefonkosten geprüft (auch bei Einsatz von Einfachsthandys).

Beschäftigung & Qualifizierung sowie Freizeit
Die Ausgestaltung von Beschäftigungsmöglichkeiten sowie Freizeit- und Sportangeboten soll so erfolgen, dass Infektionsrisiken minimiert werden. Größere Personengruppen sind zu vermeiden. Seitens der Anstalten sind entsprechend der örtlichen und organisatorischen Gegebenheiten verantwortbare Lösungen zu entwickeln (bspw. Verkleinerung der Anzahl von Personen in den Arbeitsbetrieben durch Bildung von Schichten).
Ist zu der Eindämmung der Pandemie die Schließung von Arbeitsbetrieben/Werkstätten notwendig bzw. werden Arbeitszeiten verkürzt und dadurch die Gefangenen in der Ausübung ihrer Arbeit bzw. Ausbildung gehindert, wird dennoch eine Vergütung gezahlt. Die Vergütung ist beschränkt auf die übliche Arbeitszeit und den Grundlohn der Vergütungsstufe, in der die Gefangenen sich zum Zeitpunkt der Einstellung bzw. bei Verkürzung der Arbeit befanden.
Selbiges gilt für sämtliche andere vergütete Maßnahmen im Justizvollzug, die aufgrund der aktuellen Pandemie entfallen. Ziel der Vergütungsfortzahlung ist die Verhinderung von Unruhen und damit der Gefährdung von Leib und Leben in den Anstalten. Es soll sichergestellt werden, dass sich die Inhaftierten – auch unter dem Eindruck sonstiger (massiver) Beschränkungen – weiterhin in gewohntem Umfang mit Nahrungs- und Genussmitteln versorgen und weitere Bedarfe abdecken können.

Externe
Der Zutritt Externer wird auf das unbedingt Erforderliche beschränkt. Besuche durch Vollzugshelfer und Vollzugshelferinnen entfallen. Ebenso finden keine Gottesdienste und Freitagsgebete mehr statt; die Einzelseelsorge bleibt dagegen erhalten. Die Arbeit der Anstaltsbeiräte wird weiter ermöglicht. Sie sind über die getroffenen Maßnahmen zu informieren und entsprechend zu sensibilisieren. Die Einschränkungen gelten nicht für Rechtsanwält*innen, die jedoch gebeten werden, ihren Besuch vorab telefonisch bei den Anstalten anzumelden.

Offener Vollzug / Lockerungen
Geeignete – insbesondere bereits in Lockerungen erprobte – Gefangene sollen möglichst in den offenen Vollzug verlegt werden. Bei Gefangenen, die sich in einem freien Beschäftigungsverhältnis befinden, soll die parallele Gewährung von Langzeitausgang wohlwollend geprüft werden. Auch in anderen geeigneten Fällen ist die Gewährung von Langzeitausgang, da dieser gesetzlich nicht auf eine bestimmte Anzahl von Kalendertagen beschränkt ist, zu prüfen. Aus dem geschlossenen Vollzug soll die Gewährung von Vollzugslockerungen auf unaufschiebbare Fälle beschränkt werden, um die Zahl von Außenkontakten zu minimieren.

Kantinen
Die Fortführung des Betriebs der Kantinen obliegt den Anstalten. Seitens der Anstalten sind entsprechend der örtlichen und organisatorischen Gegebenheiten verantwortbare Lösungen zu entwickeln (bspw. „Kioskbetrieb“ mit Verzehr im jeweiligen Büro). Dabei ist zwischen anwesenden Personen ein Abstand von 1,5 m einzuhalten.

Kammerton 03-2020