Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) – aktive Nutzungspflicht bereits jetzt?

Derzeit besteht für Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen gemäß § 31a Abs. 6 BRAO die sogenannte passive Nutzungspflicht des beA. Demnach müssen Anwälte die für die Nutzung des beA erforderlichen technischen Einrichtungen vorhalten sowie Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das beA zur Kenntnis nehmen.

Die aktive Nutzungspflicht im elektronischen Rechtsverkehr wird für Rechtsanwälte voraussichtlich zum 01.01.2022 eingeführt. Die Landesregierungen haben die Möglichkeit, für ihren Bereich durch Verordnung zu bestimmen, dass die aktive Nutzungspflicht ganz oder teilweise bereits am 01.01.2020 oder am 01.01.2021 in Kraft tritt. Hiervon wurde bislang von Schleswig-Holstein für die Arbeitsgerichtsbarkeit  für die Zeit seit 01.01.2020 Gebrauch gemacht.

In bestimmten Fällen existiert schon seit Längerem die Pflicht, das beA aktiv zu nutzen. Bereits seit dem 01.01.2017 besteht gemäß § 49c BRAO die anwaltliche Berufspflicht, Schutzschriften nur noch elektronisch beim Zentralen Schutzschriftenregister einzureichen (vgl. beA-Newsletter 17/2017). Bei Zustellungen der Gerichte gemäß § 174 Abs. 3 ZPO über das beA ist seit dem 01.01.2018 ein elektronisches Empfangsbekenntnis zu erteilen (§ 174 Abs. 4 S. 3 ZPO; siehe https://www.rak-berlin.de/kammerton/ausgaben/ausgabe/ausgabe-11-2019/zur-reichweite-des-%c2%a714-der-berufsordnung/).

Von einigen Gerichten wurde in letzter Zeit in bestimmten Fällen eine darüber hinausgehende aktive Nutzung des beA durch die Rechtsanwälte verlangt. So ist das Landgericht Krefeld z.B. der Auffassung, ein Anwalt sei verpflichtet, bei Unerreichbarkeit des gerichtlichen Faxgerätes zur Fristwahrung das beA zu nutzen, und wies mit dieser Begründung einen Wiedereinsetzungsantrag in den vorigen Stand zurück (LG Krefeld, B.v. 10.09.2019, 2 S 14/19, NJW 2019, 3658). Auch das OLG Dresden (B.v. 29.07.2019, 4 U 879/19, NJW 2019, 3312) meint, die derzeit nur passive Nutzungspflicht stehe einer Pflicht des Anwalts, bei technischen Störungen des gerichtlichen Faxgerätes den Schriftsatz aus dem beA versenden zu müssen, nicht entgegen, und versagte ebenfalls eine Wiedereinsetzung wegen Fristversäumung. Das Unterlassen der Übersendung des fristgebundenen Schriftsatzes über das beA soll entsprechend dem Beschluss des OLG Dresden vom 18.11.2019 (4 U 2188/19, über juris) der vertretenen Partei nur dann nicht als schuldhaftes Versäumnis zuzurechnen sein, wenn glaubhaft gemacht werde, dass die Übermittlung aus dem beA nicht möglich gewesen sei.

Diese Rechtsprechung ist insbesondere in verfassungsrechtlicher Hinsicht bedenklich. Bereits 1996 hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt: „Wird von einem Gericht für die Zusendung fristwahrender Schriftsätze der Übermittlungsweg durch Telefax eröffnet, so dürfen die aus den technischen Gegebenheiten dieses Kommunikationsmittels herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden.“ (BVerfG, B.v. 01.08.1996, 1 BvR 121/95, NJW 1996, 2857). Insbesondere habe der Nutzer mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginne, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis 24.00 Uhr zu rechnen sei. Von einem Rechtsanwalt, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet habe, einen Schriftsatz durch Fax zu übermitteln, könne daher beim Scheitern der gewählten Übermittlung infolge eines Defekts des Empfangsgeräts oder wegen Leitungsstörungen nicht verlangt werden, dass er – unter Aufbietung aller nur denkbarer Anstrengungen – innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstelle (BVerfG, aaO). Fristen sollten die Gerichte vor unangemessenen Verfahrensverzögerungen schützen. Eine allein infolge eines in der Sphäre des Gerichts liegenden Umstandes eintretende Verzögerung könnte in diesem Sinne nicht als unangemessen betrachtet werden (BVerfG, aaO, Rn. 14). Auch entsprechend der Rechtsprechung des BGH steht es der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich nicht entgegen, dass ein Anwalt bei einem Scheitern der Zustellung per Fax den Schriftsatz in anderer Weise noch rechtzeitig hätte übermitteln können, sofern die Unmöglichkeit der rechtzeitigen Übermittlung per Fax ihren Grund in der Sphäre des Gerichts finde (BGH, B.v. 20.02.2003, V ZB 60/02, NJW-RR 2003, 861).

Dies sieht auch das Landgericht Mannheim so, und weist in seinem Beschluss vom 17.01.2020 (1 S 71/19, über juris) zutreffend darauf hin, dass ein Anwalt beim Scheitern der gewählten Zustellung per Fax aufgrund einer Störung am gerichtlichen Faxempfangsgerät nicht verpflichtet sei, innerhalb kürzester Zeit eine andere Zugangsart, etwa per beA, sicherzustellen (s. auch BGH, B.v. 30.09.2003, X ZB 48/02, NJW-RR 2004, 283). Das Landgericht Mannheim weist in diesem Beschluss auf die im Zusammenhang mit der Wahl des Übermittlungsweges für Zustellungen bestehenden verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechend hin (wie vor, Rn. 12).

Weitere Gerichte haben im Zusammenhang mit der Nutzung des beA für den elektronischen Rechtsverkehr bereits auf diverse Sorgfaltspflichten der Anwälte hingewiesen: Das LAG Schleswig-Holstein hat z.B. darauf hingewiesen, dass die Gerichte nicht verpflichtet seien, den Rechtsanwälten Handlungsanweisungen zum Öffnen der über das beA zugesandten Dokumente zu erteilen. Es reiche nicht aus, die technischen Einrichtungen zum Empfang von Zustellungen und Mitteilungen über das beA lediglich vorzuhalten. Der Rechtsanwalt sei vielmehr verpflichtet, sich die Kenntnisse zur Nutzung des beA anzueignen, damit er die zugestellten Dokumente auch zur Kenntnis nehmen könne (LAG Schleswig-Holstein, B.v. 19.09.2019, 5 Ta 94/19, BRAK-Mitt. 2019. 322 ff.). Das Ausbleiben einer automatisierten Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 S. 2 VwGO nach Übermittlung eines Schriftsatzes über das beA müsse den Anwalt zur Überprüfung und ggf. erneuten Übermittlung des Schriftsatzes veranlassen (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 28.08.2019, 2 M 58/19, NJW 2019, 3663 f.). Ein Anwalt habe in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend zu belehren, dass bei einer Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 46c Abs. 5 S. 2 ArbGG zu kontrollieren sei. Der Anwalt habe zudem diesbezüglich zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen (BAG, B.v. 07.08.2019, 5 AZB 16/19, NJW 2019, 2793 ff.).

Kammerton 01/02-2020