Wann wird das RVG angepasst?

Die 77. Tagung der Gebührenreferenten wurde von der RAK Celle ausgerichtet und fand am 04.05.2019 in Hildesheim statt.

Schwerpunktmäßig befassten sich die Teilnehmer mit dem aktuellen Stand der Anpassung der Rechtsanwaltsvergütung als auch im Rahmen ihres Generalthemas „Auswirkungen der neuen Entwicklungen des Rechtsdienstleistungsmarktes auf die anwaltliche Vergütung“ mit der Frage der (Teil-) Freigabe des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren nach § 49b Abs. 2 BRAO i. V. m. § 4a RVG.

1. RVG-Anpassung

Auch zum Zeitpunkt der 77. Gebührenreferententagung lag kein Referentenentwurf eines 3. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vor. Der gemeinsame Forderungskatalog zur Anpassung des RVG von BRAK und DAV war am 16.04.2018 an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) übergeben worden und im Herbst 2018 vom BMJV an die Landesjustizministerien zur Stellungnahme weitergeleitet worden. Zwischenzeitlich lagen dem BMJV zwar fast alle Rückmeldungen vor, allerdings hatten die Landesjustizministerien angekündigt, sich erst nach der 90. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) am 05./06.06.2019 abschließend zu dem gemeinsamen Forderungskatalog zu positionieren.

Die JuMiKo hatte bei ihrer Frühjahrskonferenz 2018 eine Länderarbeitsgruppe „Neues Haushaltswesen“ zur Evaluierung der Erhöhung der Gerichtsgebühren durch das 2. Kostenrechts-modernisierungsgesetz eingesetzt. Diese Länderarbeitsgruppe war beauftragt worden, die Situation der Gebühreneinnahmen der Gerichte und Staatsanwaltschaften auch mit Blick auf die Ausgaben für Rechtsanwaltsgebühren sowie Honorare und Entschädigungen nach dem JVEG für die Jahre 2012 bis 2017 in allen Ländern auf einer möglichst breiten Datengrundlage zu analysieren. Diese Ergebnisse wollten die Länder zunächst abwarten.

[Anm.: Die JuMiKo war sich einig, dass die Sicherung der Leistungsstärke der Justiz auch eine angemessene Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte voraussetzt. Die Justizminister/innen der Länder Hamburg, Hessen und Schleswig-Holstein sind beauftragt worden, Gespräche mit dem Präsidenten der BRAK und der Präsidentin des DAV über dieses Thema zu führen.]

Vor diesem Hintergrund wiederholten die Gebührenreferenten die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer zeitnahen angemessen Anpassung der anwaltlichen Gebühren. Dabei wurde insbesondere mit dem im Niedersächsischen Justizministerium für das Kostenrecht zuständigen Fachreferenten die sich abzeichnende Problematik diskutiert, dass die Länder einer RVG-Anpassung voraussichtlich nur bei einer gleichzeitigen Erhöhung der Gerichtskosten zustimmen werden.

Die Gebührenreferenten stellten klar, dass durch die RVG-Anpassung sichergestellt werden soll, dass auch die Anwaltschaft an der allgemeinen Preis- und Kostenentwicklung seit der der letzten Erhöhung im Jahr 2013 partizipiert. Die RVG-Anpassung müsse daher abgekoppelt von einer Gerichtskostenerhöhung erfolgen; die Anwaltschaft könne nicht für steigende Personal- und Sachkosten der Justiz einstehen. Denn Justizgewährung und der Zugang zum Recht sind Teil der staatlichen Daseinsfürsorge, die nicht kostendeckend sein darf.

2. Anwaltliche Erfolgshonorare und Legal Tech

Ferner befassten sich die Gebührenreferenten mit den möglichen Auswirkungen der Geschäftsmodelle der prozessfinanzierenden Inkassodienstleister im Bereich Legal Tech auf den Rechtsberatungsmarkt und das anwaltliche Berufsrecht. Insbesondere diskutierten sie, ob das Verbot der Vereinbarung von Erfolgshonoraren nach § 49b Abs. 2 BRAO i. V. m. § 4 a RVG weiterhin aufrechterhalten werden sollte. Denn das Geschäftskonzept der Legal-Tech-Unternehmen basiert auf der Vereinbarung einer Art Erfolgshonorar mit dem Verbraucher; Rechtsanwälten ist dies jedoch berufsrechtlich untersagt. Um Wettbewerbsverzerrung für die Anwaltschaft zu verhindern, stellt sich die Frage, ob eine weitere Öffnung des Erfolgshonorarverbots geboten ist.

Die Gebührenreferenten diskutierten daher umfassend, aber nicht abschließend, die Vor- und Nachteile einer weiteren Teilfreigabe des Verbots nach § 49b Abs. 2 BRAO, insbesondere auch im Hinblick auf die Rolle des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege und Sicherstellung des Zugangs zum Recht als auch die etwaigen Auswirkungen auf das Kostenerstattungssystem. Die Gebührenreferenten werden die Diskussion im Rahmen ihrer nächsten Tagung fortführen.

Zu der Frage, ob die Erbringung automatisierter Rechtsdienstleistungen durch Legal Tech-Plattformen einen Verstoß gegen das RDG darstellt fassten die Gebührenreferenten folgenden Beschluss:

Die Gebührenreferenten sind der Auffassung, dass nach wie vor keine Rechtsdienstleistung außerhalb des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) erbracht werden darf, unabhängig davon, ob die konkrete Rechtsdienstleistung durch Personen oder ganz oder zum Teil durch Algorithmen erfolgt.

3. Abrechnung standardisierter Rechtsdienstleistungen i. R. d. Digitalisierung

Die Gebührenreferenten beschäftigte erneut die Frage, ob aufgrund der im Bereich standardisierter Rechtsdienstleistungen auftretenden Synergieeffekte bei der Bearbeitung mehrerer parallel gelagerter Fälle Änderungen im RVG vorzunehmen sind. Hintergrund ist ein Vorstoß der Versicherungswirtschaft, der die Modernisierung des Kostenrechts fordert und eine Ergänzung von § 14 RVG dahingehend vorgeschlagen hatte, bei Parallelangelegenheiten die Gebühr um einen bestimmten Faktor zu reduzieren, der die erzielten Skaleneffekte berücksichtigt.

Im Ergebnis trägt nach Auffassung der Gebührenreferenten die bestehende Regelung des § 14 RVG diesen Fällen ausreichend Rechnung. Daher halten sie es weder für erforderlich, dafür einen eigenständigen Gebührentatbestand zu schaffen, noch den Rahmen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG abzusenken.

4. Überlegungen zu inkassorechtlichen Vorschriften

Der im Jahr 2018 veröffentlichte Evaluierungsbericht zum Inkassowesen zeigte Missstände im Hinblick auf die Geltendmachung von Vergütungen durch Inkassounternehmen auf. Um insbesondere gegen die unseriösen Geschäftspraktiken im Bereich des Masseninkasso vorzugehen, stellt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) derzeit Überlegungen an, im vorgerichtlichen Bereich für Inkassodienstleistungen die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zu beschränken. Denn Inkassounternehmen würden sich bei der Berechnung ihrer Vergütungen an das RVG anlehnen und in vielen Fällen die 1,3-Geschäftsgebühr ansetzen. Daher soll nach Vorstellung des BMJV eine Neuregelung im RVG geschaffen werden, nicht hingegen im Erstattungsrecht.

Vor diesem Hintergrund diskutierten die Gebührenreferenten die gesetzgeberischen Pläne und fassten hierzu folgenden Beschluss:

Die Gebührenreferententagung lehnt einstimmig die Überlegungen zu inkassorechtlichen Vorschriften, soweit die Anwaltschaft betroffen ist, ab. Sie ist der Auffassung, dass man mit den geltenden Gesetzen und mit den Möglichkeiten der Erläuterung und der Darlegung der anwaltlichen Tätigkeit im Aufforderungsschreiben den Unterschieden zwischen den reinen Inkassodiensten und anwaltlicher Tätigkeit ausreichend gerecht wird.

5. Mehrfachvertretung von Opfern in Strafverfahren

Die Gebührenreferenten befassten sich erneut mit der vergütungsrechtlichen Problematik bei der Mehrfachvertretung von Opfern in Strafverfahren. Hintergrund ist, dass in der Regel in Strafverfahren für mehrere Opfer eines Straftäters, die sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen haben, ein RA als gemeinsamer Beistand bestellt wird und die Verhandlung über die verschiedenen Straftaten gemeinsam durchgeführt wird. Die Gerichte nehmen eine Angelegenheit an mit der Folge, dass die Verfahrensgebühr nur einfach anfällt (mit einer Erhöhungsgebühr).

Nach eingehender Diskussion kamen die Gebührenreferenten zu dem Ergebnis, dass der beigeordnete RA keine gesonderten Verfahrensgebühren für jeden Nebenkläger ansetzen kann, es sich bei der Mehrfachvertretung also nicht um verschiedene, sondern um eine Angelegenheit handelt.

6. Anfall der Gebühr nach Nr. 2100 VV RVG ohne (ausdrückliche) Beauftragung

Die Gebührenreferenten setzten sich nochmals mit der Frage auseinander, ob auch ohne ausdrückliche Beauftragung durch den Mandanten eine Gebühr nach Nr. 2100 VV RVG anfällt, wenn der RA die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels prüft und dazu Stellung nimmt. Sollten dementsprechend Rechtsanwälte Zweifel haben, ob für die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels eine weitere Gebühr anfallen könnte, empfehlen die Gebührenreferenten die Sachlage mit dem Mandanten zu klären und sich ggf. einen weiteren Auftrag schriftlich erteilen lassen.

7. Anwaltliche Vergütung nach (teilweise) erfolgreichen sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren und Aufrechnung durch Jobcenter

Darüber hinaus befassten sich die Gebührenreferenten mit der Problematik der Aufrechnung durch Jobcenter mit der anwaltlichen Vergütung nach (teilweise) erfolgreichen sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren auseinander und halten im Ergebnis mit großer Mehrheit die Aufrechnung in solchen Fällen für unzulässig:

Die Gebührenreferenten vertreten die Rechtsauffassung, dass bei Mandaten, bei denen Beratungshilfe gewährt worden ist, im Falle der Erstattung der Erstattungsanspruch unmittelbar beim beauftragten Rechtsanwalt entsteht; eine Aufrechnungslage besteht zu keinem Zeitpunkt.

8. Pflichtverteidigergebühren / Pauschgebühren nach § 51 RVG

Auch beschäftigten sich die Gebührenreferenten mit der Problematik, dass in umfangreichen Staatsschutzverfahren mit einem großen zeitlichem Aufwand die in erster und letzter Instanz zuständigen OLGs bei anschließend gestellten Pauschanträgen nach § 51 RVG sehr restriktiv über deren Bewilligung entscheiden würden.

Die Gebührenreferenten waren sich einig, dass die gesetzliche Regelung grundsätzlich rechtlich richtig konstruiert ist. Kern des Problems ist vielmehr die Ausgestaltung in der Praxis; hier sehen die Gebührenreferenten Nachbesserungsbedarf. Insbesondere würden die Voraussetzung der Bewilligung der Pauschgebühr („wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit“) von den OLGs sehr hoch gehalten. Die Gebührenreferenten werden sich bei ihrer nächsten Tagung erneut mit der Problematik der Bemessung von Pauschgebühren nach § 51 RVG befassen und ggf. gesetzliche Nachbesserungsvorschläge herausarbeiten.

9. Höhe der Einigungsgebühr bei Mehrvergleich

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 17.01.2018, Az. XII ZB 248/16) fällt in PKH/VKH-Verfahren bei einem Mehrvergleich nicht nur die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG an, sondern auch eine 0,8 Verfahrensdifferenzgebühr und eine erhöhte, nämlich aus dem Gesamtwert errechnete 1,2 Terminsgebühr.

Das OLG Bamberg (Beschl. v. 06.07.2018, Az. 2 WF 157/18) hatte entschieden, dass in solchen Fällen nach Sinn und Zweck der Nrn. 1000, 1003 VV RVG bei Mitwirken des Gerichts an der Einigung nur die ermäßigte Gebühr nach Nr. 1003 VV RVG anfällt. Lediglich in den Fällen, in denen die Mitwirkung des Gerichts auf die Protokollierung des Vergleichs reduziert ist, entstehe die volle Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG. Dem steht nach Auffassung des OLG Bamberg die o. g. Entscheidung des BGH nicht entgegen, weil sich dieser mit der Höhe der Einigungsgebühr nicht auseinandergesetzt habe.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung waren sich die Gebührenreferenten einig, dass die im gemeinsamen Forderungskatalog von BRAK und DAV zur RVG-Anpassung geforderte gesetzliche Erstreckung der PKH bei Mehrvergleich durch eine Klarstellung in § 48 RVG dringend umgesetzt werden muss (vgl. Ziff. 3.1.3 des Forderungskatalogs).

10. 78. Tagung der Gebührenreferenten

Die 78. Tagung der Gebührenreferenten findet am 19.10.2019 in Koblenz statt.

Kammerton 09-2019